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Ein Schiff voller Narren
Sebastian Brants Moralsatire in Versform war vor 500 Jahren ein europäischer Bestseller

Daß Sebastian Brants satirisches Werk "Das Narrenschiff" in Basel im Jahr 1494, also vor 500 Jahren, genau "vff die Vasenaht" erschien, war kein Zufall. Im ausgehenden Mittelalter verliefen die "tollen" Tage besonders ungezügelt und ausschweifend, so daß es genügend Anlaß gab, eine Moralsatire herauszubringen. Doch es ging ihm um mehr: Er war von der Heillosigkeit des ganzen Zeitalters überzeugt und sah, daß die Menschen ständig gegen die göttliche Ordnung verstießen und von Gottes "wißheyt" abwichen: "Die gantz welt lebt in vinstrer nacht / und dut in sünden blint verharren / all strassen / gassen / sind voll narren." So hörte sich seine Klage an.

Er entwickelte deshalb, nicht zuletzt wohl angesichts des Treibens der oberrheinischen Fastnachtsnarren, seine "Narrenkonzeption". Das heißt: Er benutzte die Figur des Narren als Allegorie für seine durch Illustrationen verdeutlichten Verse, um den Menschen ihre Schwächen, Laster und Torheiten vor Augen zu halten, sie aufzurütteln, zur Selbstbesinnung zu bringen und zu bessern.

Viel hatte der aus Straßburg stammende Jurist, Doktor beider Rechte und zeitweise Dekan der juristischen Fakultät in Basel da vorgenommen - zumal er nicht gerade ein Dichter war, bei dem Gefühl und Einbildungskraft besonders ausgeprägt waren. Seine Verse galten eher als trocken. Dennoch: Das Buch wurde zu einem "Bestseller", ja es gelangte - mitbedingt durch die Übersetzung ins Lateinische und in andere Sprachen - als erstes Werk der deutschen Literatur zu europäischer Geltung. Noch im gleichen Jahr gab es Nachdrucke in Nürnberg, Reutlingen und Augsburg, denen viele weitere folgten. Und dies geschah, obwohl es, wie immer wieder betont wird, kaum literarische und künstlerische Qualitäten besaß: "Ein Bucherfolg mit allen seinen Rätseln."

Was die dichterische Qualität angeht, so wurde oft der Vorwurf erhoben, Brant habe sich auf die Bibel, auf Schriftsteller der römischen Antike und andere Quellen aus dem Mittelalter gestützt, diese übersetzt und "zusammengekittet". Auch wenn das richtig ist, so kann die Kritik doch leicht entkräftet werden: In jener Zeit war dichterische Originalität nicht gefragt. Man berief sich auf die Bibel und andere Autoritäten und interpretierte sie. Die Maßstäbe, mit denen man im 19./20. Jahrhundert derartige Leistungen bewertet, existierten also zu jener Zeit in keiner Weise.

Bemängelt wird auch immer wieder, daß der Gedanke des Narrenschiffs, das mit vielen Narren besetzt ist und mit unsicherem Ausgang durch das Meer der Torheiten und Laster segelt, im Buch als Gestaltungsidee überhaupt nicht durchgehalten wird. So beschreibt Brant in den 112 Kapiteln in lockerer Folge die einzelnen "Narrheiten" - Geiz, Völlerei, Wollust, Neid, Gotteslästerung, Trägheit und andere -, ohne das Rahmenbild "Narrenschiff", Sinnbild für das menschliche Leben, wieder ernsthaft aufzugreifen.

Wie auch immer über das "Narrenschiff" geurteilt wurde: Keiner weltlichen Dichtung deutscher Sprache war vorher eine so einschlagende Wirkung und ein so großer Erfolg beschieden.

Worauf war denn nun aber der große Erfolg des Buches zurückzuführen? Sicherlich spielt es eine Rolle, daß es als eine Art Heilmittel gesehen wurde, dem man in einer Zeit des großen Elends und der allgemeinen Hilflosigkeit zutraute, es könne helfen, die Menschen zu bessern und wieder zum christlichen Glauben zurückzuführen. So wurde es als Schullektüre empfohlen und diente in Straßburg sogar als Grundlage für eine Predigtreihe.

Sehr wesentlich für die Popularität dürfte vor allem die Einführung des Narrenprinzips, also die Darstellung der Fehler und Schwächen unter dem Gesichtspunkt der Narrheit, gewesen sein. Der volkstümliche Narr, wie üblich mit Narrenkappe und weiteren Utensilien ausgestattet, wird also mit den abstrakten Untugenden befrachtet und dann in den Versen konkretisiert und verlebendigt - ein Einfall, der Brant zum Vater des literarischen Narrentums machte.

Von ganz entscheidender Bedeutung für die große Zahl der Nachdrucke dürften auch die Illustrationen gewesen sein, die den einzelnen Kapiteln zugeordnet waren. Die bildliche Darstellung hatte gerade in der Zeit, in der der größte Teil der Menschen noch nicht lesen konnte, einen hohen Informationswert. So war es möglich, sich den Sinn des Textes durch die Betrachtung der Bilder zu erschließen, zumal Illustrationen noch selten waren und dadurch stärkere, prägendere Eindrücke hinterließen. Wer dazu in der konnte dann dem jedem Bild beigeordneten Kurzvers und auch die längere ins Theologische und Philosophische gehende Erörterung, die ebenfalls in Versform gefaßt war, lesen. So waren die Menschen aller Bildungsschichten angesprochen.

Bei den meisten Holzschnitten wurde eine eine bildmäßige Gestaltung von hoher Qualität erreicht. So ist man heute der Auffassung, daß der junge Albrecht Dürer, der sich damals in Basel, dem Entstehungsort des "Narrenschiffs", an der künstlerischen Gestaltung mitgewirkt hat. In einer Untersuchung darüber kommt man zu dem Schluß, daß zwei Drittel der Schnitte von ihmgefertigt sein sollen. Wie immer es auch gewesen sein mag: Das hohe künstlerische Niveau der Illustrationen dürfte zu dem riesigen Verkaufserfolg des Buches beigetargen haben.

Eine andere Frage ist, was Brant mit seinem moralisierenden Lehrgedicht bewirkt hat. Das Weltbild des 15. Jahrhunderts ist weit von unserer Zeit entfernt. Antworten sind da nicht einfach. Fest steht, daß das "Narrenschiff" der erste große Erfolg für die deutsche Literatur war. Erst viel später, bei Goethes "Werther", kam es wieder zu einem Literaturereignis, das ähnlich große Beachtung fand.

Die Nürnberger haben seit einigen Jahren ihr eigenes Narrenschiff. Auf dem Weg von der Lorenzkirche zum Hauptmarkt ist die Bronzeplastik von Professor Jürgen Weber nicht zu übersehen. Voller Dramatik ist das Thema da in eine gegenwartsnahe Aussageform umgesetzt: Gewalt, Technik und Resignation zerstören das Leben, der Tod lacht hohn. Der Mast, Symbol für den Baum der Erkenntnis, ist vertrocknet und tot. Unruhe und Angst sind den Figuren ins Gesicht geschrieben. Ist der Untergang abwendbar? Im Brantschen "Narrenschiff" sieht es nicht ausweglos aus. Hoffnung gibt es für alle, die sich als "Narren", als unvernünftig Handelnde, erkennen und zu Gottes "wißheyt" zurückkehren:

Der Weise hält in seiner Hand
Das Ruder und fährt leicht zu Land;
Ein Narr versteht sich nicht aufs Lenken,
Drum wird er leicht das Schiff versenken.

Ausschnitte aus dem "Narrenschiff" zu den Themen Reichtum, Gewalt und Aberglaube - ins Neuhochdeutsche übertragen von H. A. Junghans 1877 (Reclams Universal-Bibliothek):

Die größte Torheit in der Welt
Ist, daß man ehrt vor Weisheit Geld
Und vorzieht einen reichen Mann,
Der Ohren hat und Schellen dran;
Der muß allein auch in den Rat,
Weil er viel zu verlieren hat.
Einem jeden glaubt so viel die Welt,
Als er trägt in der Tasche Geld.
Kunst, Ehre, Weisheit gelten nicht,
Wo an dem Pfennig es gebricht.
Doch wer sein Ohr vor dem Armen stopft,
Den hört Gott nicht, wenn er auch klopft.

Man findet Narren mannigfalt,
Die sich verlassen auf Gewalt,
Als ob die ewig sollte stehn,
Die doch wie Schnee pflegt zu zergehn.
Drum merket ihr Gewaltigen all:
Ihr sitzet wahrlich in Glückes Fall!
So seid nun weise und achtet aufs Ende,
Daß Gott das Rad euch nicht umwende!
Fürchtet den Herrn und dienet ihm!
Wenn euch sein Zorn ergreift und Grimm,
Der bald schon wird entflammen sehr,
Wird eure Macht nicht bleiben mehr.

Einem Christenmenschen nicht zusteht,
Daß er mit Heidenkunst umgeht
Und merkt auf der Planeten Lauf,
Ob dieser Tag sei gut zum Kauf,
Zum Bauen, Kriegen, Eheschließen,
Zur Freundschaft und was ähnlich diesen.
All unser Wort, Werk, Tun und Lassen
Soll sein aus Gott und Gott umfassen.
Darum auch der Gott nicht vertraut,
Wer so auf die Gestirne baut.

Hans Feist, aus dem "Pfaffenhofener Kurier" vom 15./16.1.1994

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