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Jetzt knallen sie wieder
In einer Stockacher Seilerei werden jedes Jahr rund 250 Karbatschen gefertigt Peter Haller "Karbatsche, die (aus poln.karbacz, türk. kyrbatsch), lederne Hetzpeitsche" erklärt "Herders Konversationslexikon" von 1910. "Karbatsche (russ. aus türk. kyrbatsch) die, starke, aus ledernen Riemen geflochtene Peitsche" heißt es kurz und knapp im "Großen Brockhaus" von 1955. Wer im neueren Lexikon nachschaut, findet unter "Karbatsche" nichts mehr. Dieser Gegenstand hat offenbar so an Bedeutung verloren, dass er keiner Erklärung mehr wert scheint. Karbatschen dienen in Ungarn, Rumänien und anderen Ländern in Osteuropa den Viehhirten als Rinderpeitschen. Sie sind dort heute noch in Gebrauch, wovon man sich beim Urlaub in der Puszta unschwer überzeugen kann. Würde bei uns ein Bauer seine Rindviecher auf der Weide mit den martialischen, bis zu fünf Meter langen Peitschen traktieren, er bekäme unweigerlich ziemlichen Ärger mit Tierschützern und Behörden. Trotzdem produziert der Stockacher Seilermeister Bernhard Muffler in seiner Werkstatt jedes Jahr etwa 250 Karbatschen, und er findet Abnehmer dafür, obwohl sie pro Stück, je nach Länge, zwischen 70 und 150 Mark kosten. Was wäre die Fasnacht in den alten Reichsstädten Überlingen, Pfullendorf, Markdorf oder Weingarten ohne Hänsele, Plätzler, Schneller? Und was wären diese ohne ihre Karbartsche, die sie auf freien Plätzen und auf breiten Straßen kunstvoll schlagen, dass es nur so knallt und die Passanten vor Schreck zusammenfahren? Wer zum Beispiel in Überlingen nach Dreikönig durch die Straßen schlendert, der stößt immer wieder auf Buben jeden Alters und auf jüngere Männer, die (vor der eigentlichen Fasnacht noch ohne Häs) ihre Karbatschenkünste zeigen. In dem Buch "Gestalten der schwäbisch-alemannischen Fasnacht" von Martin Blürncke heißt es nach einer ausführlichen Beschreibung des Überlinger Hänsele-Häs: "Die Hände sind unter weißen Handschuhen verborgen und schwingen bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Karbatsche, die geflochtene Peitsche an einem kurzen Stecken. Erstmals hört man dieses pistolenschußartige Knallen der Karbatschen am Dreikönigstag, wenn die Messe im Münster zu Ende geht: Der weihnachtliche Brauchkreis endet, zugleich macht sich die Zeit der Fasnet bemerkbar". Hier erfahren wir auch, daß in der alten Freien Reichsstadt Überlingen 1789 die lärmende Karbatsche in die Hand des Hänsele kam... Doch zurück zu Bernhard Muffler und seiner Werkstatt in der Kirchhalde in Stockach. Hier entstehen in reiner Handarbeit die Karbatschen für die Narren. "Ich fange mit der Produktion an, wenn die Wassersportsaison und die Interboot in Friedrichshafen zu Ende ist", erzählt der 35jährige Seilermeister, Inhaber der seit über hundert Jahren bestehenden Seilerei, die immer in Familienbesitz war. Früher war die Landwirtschaft Hauptabnehmer der Seiler. "Heute ist damit kaum noch ein Geschäft zu machen", erzählt Muffler. Er stellt deshalb Fenderseile und alle Arten Tauwerk für die Schiffahrt her, liefert in die ganze Welt bis nach Hongkong. Bernhard Muffler ist ein schlanker Mann, doch wenn er in seiner Werkstatt steht, dann hat er einen ziemlichen Ranzen, meint man beim oberflächlichen Hinsehen: Er bindet sich mit einem Tuch einen großen Ballen mit Hanffasem um den Bauch, um erst einmal die meterlangen Seile zu spinnen, aus denen dann die Karbatsche geflochten wird. Eine kleine Maschine dreht die Seile, während er immer weiter zurückgeht und neuen Hanf aus seinem Schurz holt, den er einspinnt, bis die richtige Seillänge erreicht ist. "Spinnen aus dem Schurz heraus, wie schon vor Jahrhunderten" erklärt der Seilermeister dieses Verfahren. Mit den Spinnrädern aus Großmutters Zeiten, wie man sie kennt und als Antiquität schätzt, hat das absolut nichts zu tun. Ungefähr eine halbe Stunde braucht Muffler allein zum Spinnen der Seile für eine einzige Karbatsche. Dann werden sie zusammengeflochten, was bis zu einer dreiviertel Stunde dauert. Exakt konisch muß die Karbatsche werden, also am Stiel ziemlich dick, dem Ende zu immer dünner. Und ihr Querschnitt muß quadratisch sein. Damit ist die Arbeit dann immer noch nicht getan: Am Ende wird ein Stück dünneres, sehr haltbares Seil aus hochfestem Material eingeflochten, und schließlich ein weißer Bändel. Er ist austauschbar, berührt er doch manchmal beim Schnellen den Boden und verschleißt. Die Karbatsche wird gewogen, damit sie auch das verlangte Gewicht hat (850 Gramm muß ein 3,80-Meter-Exernplar wiegen). Schließlich noch den hölzernen, meist gedrechselten Stiel anbringen, und die Karbatsche ist, nach zweieinhalb Stunden Handarbeit, endlich fertig und wartet im Laden auf Kundschaft. Bernhard Muffler, Seilergeselle seit 1982, Meister seit 1986 und Inhaber des vom Vater übernommenen Ladens seit 1989, verkauft Karbatschen in Längen von 2,50 bis 4,50 Meter. Die kürzesten für Kinder, die längsten für Erwachsene und Könner. "Eine Karbatsche kann, gut gepflegt, ein Leben lang halten", schätzt Muffler die Qualität seiner Arbeit ein. Warum er dann doch so einen guten Umsatz damit macht? Jeder richtige Überlinger Bub muss eine haben. Und jedes Hänsele hat mehrere und braucht, wenn es älter und kräftiger wird, eine immer längere. Und in Umzügen zum Beispiel kann das Hänsele, das sonst die 4,50-Meter-Peitsche schwingt, aus Sicherheitsgründen nur eine kürzere einsetzen. Für Käufer ist also gesorgt. Die ursprünglichen Rinderpeitsehen waren aus geflochtenem Leder (man kann es bei Karl May nachlesen, dessen Freund und Diener Halef als "Meister der Kyrbatsch" manchen Feind von Kara Ben Nemsi damit in seine Schranken wies). Die heutigen Karbatschen für die Fasnacht werden aus Hanf gemacht, der sich aufgrund seiner Festigkeit dafür ganz besonders eignet. Hanf zu bekommen, ist für Muffler gar nicht so einfach. Da war es für ihn ein Glücksfall, daß er vor einigen Jahren einen größeren Posten aus einem aufgelösten volkseigenen Betrieb der Ex-DDR aufkaufen konnte. Ungefähr ein Jahr reicht der Vorrat noch, dann muß er sich nach einer neuen Lieferung umsehen. Hanf wird heute vor allem in China, Indien, Rußland und der Türkei angebaut und verarbeitet. Da die Pflanzen nicht nur zur Produktion von Fasern, sondern auch zur Herstellung von Rauschgift (Haschisch) benützt werden können, war in Deutschland der Anbau über Jahrzehnte verboten. Heute sieht man wieder die ersten Hanfpflanzungen, auch am Bodensee. Verwendet werden natürlich Sorten, die sehr wenig der Chemikalie enthalten, aus der Haschisch gemacht wird. Dass die Narren auch weiter ihre Karbatschen bekommen, scheint gesichert. Dieter Britz, aus dem "Südkurier" vom 21./22.2.1998 © Bilder Narren-Spiegel (2002) |
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