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Der Schnitt unter der Käseglocke
Fastnacht zwischen Statik und Dynamik

von Peter Haller

Schwäbisch-alemannische Fasnacht im Jahre 2005, das ist einerseits ungebremste Dynamik, wie sie in einer Vielzahl neuer Narrenzünfte und Maskengruppen ihren Niederschlag findet. Das sind aber andererseits auch fest gefügte Formen und Abläufe, wie sie von vielen Zünften nun als für alle Zeiten unveränderbar angesehen werden. Dabei hat kaum ein Häs, kaum eine Maske die vergangenen Jahrhunderte in der Form überdauert, wie sie uns heute bekannt sind, von wenigen Ausnahmen mal abgesehen. So kritisierte auch der Volkskundler Werner Mezger in einer während der Fasnet 2004 ausgestrahlten TV-Sendung, dass „die Brauchpfleger der klassischen Zünfte der eigenen Fasnet irgendwann eine Käseglocke überstülpen und sagen, ab jetzt ist es echt original und darf sich nicht mehr verändern. Nur wo setzt man diesen Schnitt? Einerseits sagen sie, dass die Bräuche, die sie pflegen und die vielleicht erst durch sie zum Pflegefall geworden sind, lebendiges Brauchtum seien. Andererseits haben sie immer eine unterschwellige Angst davor, dass diese Bräuche eines Tages vielleicht die folk-loristische Isolierstation wieder verlassen und wirklich anfangen könnten zu leben und sich zu verändern.“





Der reglementierte Narr
Der Fasnachtsnarr, der einst recht unbefangen durch die Fasnetszeit hüpfte und aufmüpfig seiner Narrenfreiheit frönte, gehört schon lange der Vergangenheit an. Früher wurde der Narr von der Obrigkeit reglementiert, heute reg-lementieren sich die Narren selber, was sicher nicht immer ohne Not geschieht, denn die Derbheit einstiger Narretei würde heute von den wenigsten Narren selber und schon gar nicht vom gesellschaftlichen Umfeld toleriert oder gar gut geheißen. Der Narr von heute will in erster Linie Freude verbreiten und mit Gleichgesinnten feiern, er will nicht durch ungebührliches Verhalten ins gesellschaftliche Abseits geraten und närrische Kritik wird, dort wo sie geübt wird, meist sehr dosiert vorgetragen. Und die kultivierten Narren von heute sind nummeriert. Wer über die Stränge schlägt, läuft Gefahr, an seiner Nummer erkannt zu werden. Auch die massenhafte Vermehrung der Narren hat zu immer größeren organisatorischen Problemen geführt. Noch ein Grund, das närrische Treiben zu reglementieren. Und auch der zunehmende Wohlstand im letzten Jahrhundert hat seinen Teil beigetragen, zu einer Veredelung und Ästhetisierung zahlreicher alter und jüngerer Narrenfiguren geführt, einfache Stoffe, ja oft Lumpen wurden durch edlere Stoffe wie Filz oder Samt ersetzt, doch keineswegs in beliebiger Weise. Die Farben und Farbfolge von Häsern wurden festgelegt, die Bemalung definiert, der Häs-TÜV eingeführt und oft muss eine Larve der andern bis ins Detail gleichen, eine Arbeit für die Kopierfräse, die dem Künstler jede Freiheit nimmt, Uniformierung statt Vielfalt ist die Folge. Gerade die Uniformierung scheint jedoch unter den Hästrägern identitätsstiftend zu wirken. Zuviel Uniformität bedeutet jedoch keine Bereicherung, sondern erzeugt auf die Dauer beim Betrachter Langeweile, weil er sich nach kurzer Zeit satt gesehen hat. Fasnet zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist eben doch anders als noch vor 100 Jahren, der Narr von heute will meist schön sein, er will gefallen, obwohl ... auch zur Barockzeit schon fielen Narren durch ihre Prunksucht auf ... nur heute hat sich diese Idee vom vornehmen Narren flächendeckend durchgesetzt, wenn man mal von manchen Hexen und artverwandten Figuren absieht, die für sich meist eine eigene Art von Narrenfreiheit in Anspruch nehmen.



„Nur wenn Statik und Dynamik, Beharrung und Veränderung,
Tradition und Wandel gleichermaßen zum Tragen kommen und einander die Waage halten,
ist die Zukunft von Festen gesichert.“

Werner Mezger



Die Grenzen der närrischen Freiheit
Die Reglementierung der Fasnet hat also zwei Seiten, wie so vieles im Leben. Will ich tradierte Formen der Brauchausübung, der Vermummung an künftige Generationen weitergeben, will ich verhindern, dass sich auf dem Weißnarrenkleidle eine aufgemalte Micky-maus-Figur oder ein Big Mac findet oder dass Nike-Turnschuhe zum neonfarbenen Fleckleshäs getragen werden, dann muss ich solchen Entwicklungen einen Riegel vorschieben. Und auch die massive Zunahme der Zahl der Zunftmitglieder erfordert ein gewisses Maß an Organisation und Reglementierung. Aber wenn man dann schon mal am Reglementieren ist, dann wird auch leicht über das Ziel hinausgeschossen, und aus purer Freude an der Fasnet wird närrischer Ernst, daher auch der oftmals gehörte Ausspruch: „Es gibt nix Ernsteres als d’Fasnet!“. Ob es der Fasnet auf Dauer gut tut, wenn nun alles mit deutscher Gründlichkeit reglementiert und auf einem bestimmten Stand eingefroren wird, ist fraglich. Die Entwicklung der nächsten Jahrzehnte wird sicherlich eine Antwort auf diese Frage geben.


Die „wilde Fasnet“ bietet kreative Entfaltungsmöglichkeiten, die die reglementierte historische Fasnet nicht bietet. Fotos: Peter Haller


Junge Zunft – alte Tradition?
Was nun die jungen Zünfte anbelangt, so ahmen diese die „großen“ Vorbilder aus den Traditionszünften nach oder aber sie lassen ihrer Kreativität freien Lauf, mit qualitativ ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Dies führt einerseits zu einer Vermehrung der überlieferten Narrentypen sowie insbesondere der „relativ jungen“ Fasnachtshexe, deren Variationsmöglichkeiten mittlerweile gänzlich ausgereizt scheinen, aber andererseits auch zur Schöpfung vieler neuer Fasnetsfiguren, die auf irgendeine lokale Sagengestalt, Begebenheit oder den örtlichen Übernamen zurückgehen. Kein anderes Wort aus Narrenmund wird dabei öfter in irreführender Weise verwandt als „Tradition“. Welchen Sinngehalt hat dieses Wort eigentlich noch, das laut Duden für „Überlieferung“, „Brauch“, „Weitergabe an spätere Generationen“ steht, wenn eine heute kreierte Narrenfigur bereits morgen als „Traditionsfigur“ bezeichnet wird? Offensichtlich stellt die Fasnacht auch sprachlich eine „verkehrte Welt“ dar.

Die Kluft zwischen alten und neuen Zünften scheint jedenfalls oft unüberbrückbar, dabei gibt es doch eine bedeutende Gemeinsamkeit: Beiden geht es um die Fasnacht. Nur über die Frage, wer in welcher Form und wie oft Fasnacht feiern darf, klaffen die Meinungen weit auseinander. Strittig ist insbesondere, ob der Fasnachtsboom der letzten Jahre der Fasnacht im Allgemeinen und der Fasnacht in den alten Narrenorten im Besonderen schadet. Dabei scheint es so zu sein, dass gerade dort, wo die Traditionshüter aus den alten Zünften am lautesten über eine Verwässerung der Fasnet klagen, der Einfluss der dynamischen Fasnachtsentwicklung draußen oder vor Ort auf den traditionellen Brauchablauf kaum spürbar wird, höchstens insofern, als die eigenen Umzüge aufgrund immer höherer Mitgliedszahlen immer länger dauern. Die neue Zunft im übernächs-ten Ort oder die neue „Konkurrenz“ im eigenen Vorort führen weitgehend ihr Eigenleben und sind bisweilen auch eine gern gesehene Bereicherung der eigenen Umzüge. Problematisch wird es erst, wenn eine immer größere Zahl von Narrentreffen, die künstliche Ausweitung der Fasnacht (z. B. 11.11.), das eigenwillige Verlegen von Brauchterminen (z. B. Narrenbaumsetzen), regelmäßige TV-Liveübertragungen etc. dazu beitragen, dass die Fasnacht den Charakter des Einmaligen, des Besonderen zu verlieren droht. Die daraus resultierenden Abnutzungs- und Übersättigungserscheinungen könnten sich früher oder später auch auf die traditionellen Narrenorte auswirken. Noch ist davon, allen Unkenrufen zum Trotz, nichts zu spüren. Zumindest die organisierte Fasnacht boomt fast allerorten, und keiner weiß vorherzusagen, wann und wie dieser Boom enden wird.


Ist die „wilde Fasnet“ noch zu retten?
Im Gegensatz dazu kränkelt jedoch vielerorts bereits seit Jahren die unorganisierte „wilde Fasnet“. Die Zahl der Schnurrgruppen scheint in immer weniger Gaststätten von Jahr zu Jahr weniger zu werden. Besenwirtschaften, in denen die Musik fürs Schnurren viel zu laut ist und es meist drangvoll eng zugeht, sodass es für Schnurrgruppen eh kaum ein Durchkommen gibt, ersetzen die geschlossenen Gaststätten. In den wenigen noch geöffneten Gaststätten verlieren sich schon vor Mitternacht die letzten Gäste (Zitat eines alten Fasnachters: „Des hätt’s früher net gäba. Do isch koiner vor zwei hoim.“). Und der Maskenball wird von der Fasnetsdisco verdrängt, wo die vorwiegend unkostümierten jungen Leute, denen das Brauchtum offenbar nur schwer vermittelbar ist, bei Hip-Hop, Charts-Musik und Alcopops abfeiern, so wie im übrigen Jahr eben auch. Mit Fasnetstradition hat das dann oft nichts mehr zu tun, sondern ist nur noch ein weiterer Event-Termin im Jahr, an dem man sich gewohnheitsmäßig volllaufen lässt, wodurch sich die Fasnetsgegner in ihrer ablehnenden Haltung bestätigt sehen. Ratlos verfolgen viele Fasnetsfreunde diese Entwicklung, die nicht selten mit einer zunehmenden Zahl von Sachbeschädigungen und Vandalismus einher- geht, ohne eine Idee zu haben, wie die traditionelle „wilde Fasnet“ noch zu retten ist.


Inseln närrischer Glückseligkeit
Und anscheinend verdeckt der Boom der organisierten Fasnet auch den Blick für dessen eigene negative Begleiterscheinungen, angefangen vom standardmäßig nur noch bei Umzügen maskierten Narren über die übermäßige mediale Präsenz bis hin zum oftmals mangelhaften Wissen der aktiven Narren um das eigene Fasnetsbrauchtum.

Viele Fasnetsumzüge sind heute leider oft nicht viel mehr als ein Schaulaufen müder Hästräger, die einen Termin nach dem andern abhaken. Das reizvolle interaktive Spiel zwischen Larventräger und unmaskiertem Zuschauer, das schon immer ein wesentliches Element des närrischen Treibens war und sich nicht nur auf das Entführen von Hüten reduzierte, bleibt dabei zunehmend auf der Strecke. Ist der Umzug aber vorüber und die Larve schnellstmöglich abgenommen, dann ist’s mit dem Narrenspiel ohnehin meist vorbei. Die Inseln der närrischen Glückseligkeit werden immer weniger. Schade eigentlich.

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