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Rätschen - Krach als närrisches Lebenselixier
Peter Haller Lärm, was wäre die Fasnacht ohne Lärm? Wie ein Wasserfall ohne Rauschen, wie ein Gewitter ohne Donner. Ungeachtet des biblischen Hintergrunds des lärmenden, von Gott abgewandten Narren, entspricht es offensichtlich einem menschlichen Urbedürfnis, wenigstens hin und wieder mal "so richtig auf den Putz zu hauen". Lärm während der Fasnacht ist aber auch der Ausdruck der Befindlichkeit des Narren, seiner Hochstimmung, und Lärm, zumal in Verbindung mit Musik, steigert das fasnächtliche Gruppenerlebnis bisweilen in ungeahnte Höhen, manchmal zu einer wahren Lärmorgie. Krach wird da zum närrischen Lebenselixier. So kann sich auch Franz Schirmeister, seit 1948 (!) Narrenvater in Sipplingen am Bodensee und bereits mit der sechsten Narrenmutter "verheiratet", eine Fasnacht ohne Rätschen gar nicht vorstellen. Und wer ihn näher kennt, wird dies auch gewiß verstehen, denn seine große Leidenschaft gilt der Herstellung dieser Rasseln, oder, anders ausgedrückt, Franz Schirmeister produziert mit Vorliebe Krach: einmal in die Hand genommen und richtig gedreht, erzeugen die Rätschen schließlich ein schon von weitem nicht zu überhörendes ratternes Geräusch, wenn ihre Holzlamellen über das Zahnrad gleiten. Und dementsprechend haben die Sipplinger Narren auch sein handwerkliches Geschick gewürdigt: "De Franz ischt en Bäschtler us Fleisch und Blut, auch heut no er älle Rätsche mache duet." Weit über 200 dieser Geräte hat Schirmeister mittlerweile hergestellt, die ersten beiden anno 1955, als er die heute nicht mehr wegzudenkende Sipplinger Fasnachtsfigur, den "Trube-Kriese-Rätscher", zusammen mit Fridolin Raff, einer weiteren Fasnachtslegende aus Sipplingen, kreierte, und auch heute kommen jährlich noch etwa 10 neue Rätschen hinzu; das Stück in Normalgröße ist für DM 60 - 80 zu haben. Einige seiner lärmenden "Lieblinge" hat er immer zu Hause, sowohl große als auch kleine. Die größte wiegt gut an die fünf Kilogramm, ist etwa einen halben Meter lang. Kleinere werden von den Kindern benutzt, und das besonders gerne und lange, wie Schirmeister zu berichten weiß: "Etz höret e mol uff", müsse man ihnen immer wieder sagen, denn eigentlich seien die Rätschen für die Fasnet auf der Straße geschaffen und weniger für das heimische Wohnzimmer. Ihr Ursprung, so erzählt Schirmeister, ist im Weinanbau zu suchen: "Dort hat man früher ja viel Krach gebraucht, um gefräßige Vögel zu vertreiben." In anderer Funktion finden Rätschen außerhalb der Fasnacht auch heute noch beispielsweise in Sipplingen und anderswo Verwendung, wenn mit ihnen von Gründonnerstag bis zur Osternacht anstelle der an diesen Tagen schweigenden Kirchenglocken zum Gottesdienst gerufen wird. Zu diesem Zweck findet sich auch im Glockenturm der katholischen Kirche in Sipplingen eine große Schirmaiersche Rätsche, ein Vorgängermodell war bereits im 19. Jahrhundert von seinem Großvater hergestellt worden. Zu ihrer Herstellung benutzt der Narrenvater in erster Linie das Hartholz heimischer Bäume wie Kirsche, Birne, Zwetschge, Ahorn oder Eiche, welches zunächst gelagert und getrocknet werden muß. Dann geht er in seiner eigenen Werkstatt daran, die unterschiedlichen Teile anzufertigen: Seitenplatten und Zahnräder; Griff, Kopf und Federn sowie Verbindungsbolzen und Holznägel. Handwerkliches Geschick und ein gutes Auge sind schon nötig, um exakt zu drechseln, zu hobeln und zu schleifen. Schirmeister: "Die Teile dürfen nicht verwechselt werden, die Löcher müssen haargenau gebohrt werden, damit die Bolzen auch durchgehen." Die Lautstärke der Rätsche wird mittels der Federstärke reguliert: je stärker, desto schwerer läßt sich später die Rätsche drehen und desto größer ist der erzeugte Lärm. Wenn alles paßt und zusammengefügt ist, ist noch eine Behandlung mit Lack erforderlich, um Schmutz abzuweisen. Fertig! (Quelle: "Südkurier" vom 18.2.1998; aktualisiert durch den "Narrenspiegel" aufgrund eines Gesprächs mit Franz Schirmeister, 2/2001) |
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Querverweise
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