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Der Munderkinger Brunnensprung
„Ein Hoch auf meine Liebste!“

von Wulf Wager

Munderkingen verfügt über einen vermutlich sehr alten Brauch, das Brunnenspringen. Wie alt dieser Brauch genau ist, ist ungewiss und vor allem unbewiesen. 1935 feierte man 700 Jahre Brunnensprung. Der Heimatforscher Lorenz Locher weist auf eine Urkunde von 1235 hin, in der belegt sei, dass der Brunnensprung von den beiden Ortsadligen Rudolf und Rüdiger im Jahre 1235 aus Wien mitgebracht und in Munderkingen eingeführt wurde. Locher erklärte 1964 in einem Brief an den damaligen Bürgermeister, dass „... der Vorstand im Jahre 1935 nach Stuttgart gefahren sei, um die beiden Fasnetslieder, den Hopser und den Schleifer, und das Belagerungslied, vom Musikdirektor Springer vertonen zu lassen. Dort sei ihnen von einem nicht namentlich erwähnten Archivrat ein Dokument übergeben worden, welches das hohe Alter des Brunnensprungs belege.“ Leider konnte besagtes Dokument nicht mehr vorgelegt werden. Deshalb scheint das hohe Alter des Munderkinger Brauches, zumindest was diese Quelle betrifft, höchst fraglich.

Sichere ältere Zeugnisse für den Munderkinger Wasserbrauch stammen aus den Totenbüchern der Pfarrgemeinde. Nach einem Eintrag von 1742 war der erste Tag der Fasnet der Fasnetsmontag, an dem man „die größte Anzahl von Törichten in der Welt sehen kann“, wie der damalige Pfarrer geringschätzig feststellt. Am Aschermittwoch war dann der Auftritt der „Histrionum madidorum“, der „Wasserschauspieler“. Nach einem „schlechten, törichten und geschmacklosen Brauch tauchen zwei Jünglinge im Brunnen unter“. Und der Pfarrer fügt hinzu: „Oh, dass sie es doch einsähen und sich um die letzten Dinge kümmerten!“ Nachdem der Pfarrer von einem Brauch spricht, ist anzunehmen, dass bereits lange vor 1742 am Aschermittwoch in den Brunnen gesprungen wurde. Bereits 1600 finden wir einen ersten Hinweis auf Fastnachtsfeierlichkeiten in Munderkingen. Im Totenbuch der Stadt weist der Pfarrer bei einer Eintragung auf die Zeit der „bachanalia“ hin, die Zeit ausschweifender Fress- und Sauforgien. 1748 waren die klerikalen Vertreter des Bistums Konstanz bei einer Visitation empört darüber, dass der Brunnensprung am Aschermittwoch, also dem ersten Fastentag, stattfinde, und legten der Stadtverwaltung nahe, den Brunnensprung in die Fastnacht zu verlegen. Diese erklärte sich für nicht zuständig und verwies auf den vorderösterreichischen Stadtamtmann.

Bis die Einträge aus den Pfarrbüchern bekannt wurden, ging man davon aus, dass die Schilderung des Brunnensprungs, die der Heimatdichter Carl Borromäus Weitzmann in seinem Gedicht „Lob des Munderkingers“ im Jahre 1803 gab, der erste schriftliche Beleg für das Brunnenspringen sei. Die vierte Strophe lautet wie folgt:

"Zu Faschingszeiten,
Da trägt er als Trommelgesell
Bei Trommel und Pfeife den Degen zur Seiten,
Tanzt hoch auf dem Brunnengestell,
Trinkt Vivat dem Kaiser mit Neckarwein,
Trinkt Vivat dem Liebchen und springt - hinein."

In seinen Anmerkungen beschreibt Weitzmann das Brunnenspringen:
„Unter allen den uralten und wunderbarlichen Gebräuchen der Munderkinger, die noch so rühmlich das Andenken der olympischen Spiele erhalten, ist das sogenannte Brunnenspringen am Aschermittwoche das vorzüglichste Spektakel. Die Trommelgesellen halten an diesem Tage ihren letzten bachanalischen Konvent. Die Trommel steht in ihrer Mitte, und der Würfel muss darauf entscheiden, wer aus ihnen der erste und dann der zweite zum Brunnenspringer bestimmt sei. Das Kostüm dieses Helden besteht in einem grünen seitwärts aufgestulpten Hute, einer breiten weissen Fätsche um den Leib und weißen Beinkleidern. Ein stattlicher Blumenbusch, rosenrothe Armbänder, und Maschen von derselben Farbe an den Beinkleidern sind seine Zierde, und so lenkt sich der festliche Zug mit ihm unter klingendem Spiele an den Marktbrunnen, den er dreimal umkreiset, dann wird Halt gemacht, und der jauchzende Arkadier tanzt mit seiner bleiernen Phyllis drei Staatstänze, schwingt sich dann auf das Brunnengestell, auf dem er in komischer Haltung ebenfalls dreimal einen Umkreis hüpft, und bleibt endlich, sein Gesicht gegen das Rathaus gewandt, in feierlicher Attitüde stehen, trinkt mit lautem Vivat auf die Gesundheit des Kaisers, auf das Glück des weisen Magistrates und endlich auf das Wohl seines Liebchens, wirft das Glas in die Luft und springt in den Brunnen aus dem ihn, sobald er sich wieder zur Oberfläche geschwungen, zwei Pagen herausziehen.“

1804 kommt die vormals vorderösterreichische Stadt Munderkingen zu Württemberg und verliert viele ihrer Rechte. Der Brunnensprung wird aber trotzdem bis ca. 1837 durchgeführt. Ernst Meier schreibt 1852 in seinem Buch „Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben“ über das Ende des Brunnensprungs:
„Seit etwa 15 Jahren hat der Oberamtmann das ‘Brunnenspringen’ bei Strafe verboten, wie sogar eine besondere Tafel an dem Marktbrunnen aussagt.“
Zehn Jahre später (1862) macht Anton Birlinger in seinem Werk „Volksthümliches aus Schwaben“ allerdings den damaligen Pfarrer für das Verbot des Brunnensprungs verantwortlich. Sei es, wie es wolle, von nun an wurde es lange still um den Munderkinger Wasserbrauch. Der Karneval, der vornehmlich in den Gaststätten als Maskenball stattfand, ersetzte den alten Brauch. Nur im Jahre 1866 führt der Liederkranz zur Fasnet am Sonntag und Montag „nach der historischen Überlieferung“ den Brunnensprung nochmals auf. Auch 1907 wird noch einmal in den Brunnen gesprungen.

Erst ab den 1930er Jahren und dem vermeintlichen 700-Jahr-Jubiläum 1935 wird der Brunnensprung wieder regelmäßig, fast noch in derselben Weise wie früher ausgeübt. Allerdings nicht mehr am Aschermittwoch, sondern am Fasnetssonntag und -dienstag.


Brunnensprung
Dreimal werfen sich die Brunnenspringer ins Wasser


Äschriger Mittwoch
Doch warum fand der Brunnensprung am Aschermittwoch, also am Beginn der Fastenzeit statt? Auch das Ulmer Fischerstechen, ursprünglich ein Fastnachtsbrauch, fand bis 1585 immer wieder am „äschrigen Mittwoch“ statt. Bis zum heutigen Tag ist es dort üblich, dass beide Narren auf jeden Fall ins Wasser fallen. Womöglich handelt es sich um ein Bußritual, also um ein Abwaschen der „sündigen Fasnetszeit“? Der Fastnachtsforscher Werner Mezger sieht in der derzeitigen Form des Munderkinger Brunnensprungs sowohl Elemente des alten Narrenertränkens, wie es seit dem 15. Jahrhundert vielfach belegt ist, als auch des Lossprechungsrituals der Junghandwerker.

Welche Funktion hatten die Trommgesellen im 18. und 19. Jahrhundert? Wir wissen es nicht. Zwei Deutungen liegen nahe, wenn man die Munderkinger Fastnacht mit Bräuchen anderer Orte vergleicht. Entweder waren die Trommgesellen die ledigen Gesellen einer oder mehrerer Handwerkerzünfte, die die Aufgabe hatten, die Fastnacht zu organisieren. Vergleichbar ist die Engelsgesellschaft in Rottweil (benannt nach dem Wirtshaus zum Engel, in dem sich die Handwerksgesellen trafen), die Alt-Fischerzunft in Laufenburg, der Metzgersprung in München und auch das Gautschen der Drucker und Schriftsetzer.
Denkbar wäre aber auch, dass es sich bei den Trommgesellen um den jeweiligen Rekrutenjahrgang handelte, der „zur Trommel gerufen“ wurde. Auch in anderen Fastnachtsorten des schwäbisch-alemannischen Gebietes ist es gerade die Altersgruppe der 20-Jährigen, also der Rekruten, die die Fastnacht organisieren oder zumindest eine wichtige Rolle spielen. Zu nennen sind hier die „Zwanzger“ in Schömberg, die für die Fastnacht und andere Bräuche wie den Funkensonntag und das Treiben des Allebären am Pfingstmontag verantwortlich sind, sowie der Jahrgang der 20- und 21-Jährigen, die in Kiebingen den Fasnetsumzug und das Eierlesen organisieren. In Löffingen ist z. B. der Rekrutenjahrgang für das Aufstellen des Narrenbaums verantwortlich.
Gewiss, diese Erklärungsversuche sind rein hypothetisch, entbehren aber einer gewissen Logik nicht.


Der Brunnensprung heute
Nach dem vom Trommelwirbel begleiteten Auswürfeln der beiden Brunnenspringer begeben diese sich auf das Brunnengeschäl des vom Baumeister Leonhardt Baumhauer aus Tübingen 1572 erneuerten Marktbrunnens. Der Obermaischer befiehlt nun seinen Maischern, das eiskalte Brunnenwasser in Wallung zu bringen und zwar mit den Worten: „Maischer setzt an, maischt auf!“ Das Maischen geschieht im Rhythmus auf den folgenden Trinkspruch:

„Dem Bürger a Glas,
em Schultes a Maß,
em Pfarrer da Wei.“

Und zum letzten Mal auf die Worte: „So soll es sein“. Hierauf setzt die Narrenmusik zu Hopser und Schleifer ein, den die Springer auf dem Brunnenrand alleine tanzen. Nun erhalten die beiden Springer jeweils von einer Trommmaid einen Becher heißen Wein. Die Brunnenspringer - ledige junge Männer - bringen nochmals drei Sprüche aus, wobei sie jedesmal ihr Glas ganz leeren:

„Ein Hoch auf Magistrat und Deputat,
ein Hoch auf Pfarrer und Bürgersleut,
ein Hoch auf meine Liebste!“

Dann werfen sie ihre Gläser an die Brunnensäule, auf der der steinerne, schildhaltende Löwe, das Munderkinger Stadtwappen, steht, und springen dreimal in das von den Maischern in Wallung gebrachte eisige Brunnenwasser. Begleitet wird diese Aktion von vielfachen „Narro-Hee“-Rufen aus Tausenden Kehlen.

Wenn sie dann den Brunnen verlassen haben, steht ihnen von altersher das Recht zu, alle umstehenden Mädchen zu küssen. Viel Zeit bleibt ihnen dazu allerdings nicht, denn sie müssen schleunigst die nassen Kleider wechseln.
Der Brunnensprung findet alljährlich am Fasnetssonntag gegen 16 Uhr und am Fasnetsdienstag gegen 18 Uhr statt.


Verwandte Wasserbräuche
Im Jahr 1331 erwähnt eine Verordnung aus Erfurt, „dass niemand zu Ostern, zu Pfingsten, noch zu einer anderen Zeit den anderen in das Wasser tragen oder werffen soll“. 1436 wird Ähnliches am Aschermittwoch in Basel erwähnt. Zahlreiche Verbote des Brunnenwerfens belegen die weite Verbreitung dieses Brauches.
In München waren es die jungen Metzgergesellen, die noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Brunnen gesprungen sind. Dass der Brunnenwurf oder -sprung nicht an Fastnacht selber, sondern erst am Aschermittwoch stattfand, hat nach Werner Mezger einen tieferen Sinn. Schließlich sollte ja erst an diesem Tag die Narrheit wieder zur Hölle fahren und symbolisch ersäuft werden.
Weitere Wasserbräuche finden wir beim traditionellen „Gautschen“ der Drucker und Schriftsetzer, bei dem die Lehrlinge durch Untertauchen in einem Bottich oder Brunnen die Aufnahme in die Zunft der Gesellen erfahren.
Die Schwäbisch Haller Salzsieder taufen neue Mitglieder noch heute durch das Besprengen mit Wasser mit Hilfe eines Degens. Denkbar ist auch, dass es sich bei diesen „Wassertaufen“ um eine Persiflierung des christlichen Ritus’ der Taufe handelt.

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