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Santaplonia Karneval mit Heiligenschein
In den Dolomiten feiern sie die „Zahn-Heilige“ Apollonia ganz närrisch

von Günter Schenk

Hoch fliegen die bunten Röcke, die kostbaren Seidentücher. Hunderte von Fetzen aus zwanzig verschiedenen Stoffen. Schon die Väter steckten einmal jährlich im Festkleid, jetzt sind die Söhne dran. Zwei Burschen, die wie Wirbelwinde durch Dosoledo fliegen, das kleine Dorf in den
italienischen Alpen. Immer wieder springen sie in die Luft, geben sich ausgelassen wie kleine Kinder. Freuen sich über die vielen anderen, die mit ihnen zusammen über den Dorfplatz tanzen. Alte und Junge, die einmal jährlich eine Heilige zusammenbringt. Santa Apollonia, in deren Namen sie sich Mitte Februar versammeln. „Santaplonia“ heißen die Einheimischen ihr Treffen. Ein weltliches Fest mit kirchlichem Segen, ein Karneval mit Heiligenschein sozusagen. Erinnerung an eine Christin aus dem 3. Jahrhundert, welcher der heidnische Pöbel im ägyptischen Alexandria einst alle Zähne ausriss. Eine Märtyrerin, die heute deshalb vor allem bei Zahnleiden angerufen wird und als Schutzpatron aller Dentisten gilt. Legenden erzählen, wie der Mob der betagten Frau die Zähne mit einer Zange rausriss und sie anschließend verbrennen wollte. Als ihre Peiniger aber kurz nicht aufpassten, stürzte sie sich selbst betend ins Feuer. Ein Heldentod, der sie zunächst in der Ostkirche, später aber auch bei uns populär machte.


Anführer der Bösewichte: Laché und Matazin in Schwarz, Foto: Günter Schenk


Ein großes Bild Apollonias hängt in Dosoledos Kirche, einem Ortsteil von Comélico. Dafür aber hat heute kaum einer einen Blick. Denn am Festtag der Märtyrerin richten sich alle Augen auf zwei Burschen mit großen, kiloschweren Hüten. Auf Laché und Matazin, die Anführer der Festgesellschaft. Was Prinz und Prinzessin im rheinischen Karneval, das verkörpern die beiden in den Dolomiten. Sie sind das Aushängeschild des jährlichen Mummenschanzes. Zeremonienmeister eines Festes, das schon frühmorgens mit ihrer feierlichen Einkleidung beginnt. Sekt und süßes Konfekt gibt es für die Zaungäste, schließlich nimmt man Apollonias Festtag in Dosoledo wichtiger als Ostern und Weihnachten zusammen.

Kurz vor zehn Uhr machen sich die närrischen Helden auf den Weg, begleitet von einem Dutzend Possenreißer. „Pajazi“ heißen sie die Einheimischen, Bajazzos, vom ersten Frühschoppen beseelte Lustigmacher, die zielsicher die kleinen Bars im Ortskern ansteuern. Beim Tanz vor dem Tresen lassen Laché und Matazin erstmals ihre bunten Röcke fliegen, beflügelt von mit Minze versüßtem Grappa, einer Spezialität zum Festtag.


Laché heißt der närrische Held in Dosoledo. Foto: Günter Schenk
Schließlich treffen sich alle am Dorfrand, formieren sich die Narren zum großen Umzug. Voraus springen die beiden närrischen Helden im Fetzenkleid, gefolgt von ein paar Musikern, die mit Walzer, Polka und Mazurka den Narren Beine machen. Zunächst den vielen Kostümierten in alten Trachten und schönen Masken. Einblick ins Leben der Bauern und Hirten geben sie, in traditionsreiches Handwerk und alpine Volkskunst. Dann aber tauchen zwei weitere Hauptdarsteller auf, Kopien von Laché und Matazin wie es scheint. Auch sie tragen feinste Fetzenkleider über den seidenen Knickerbockern, auch sie einen Narrenstab in der Rechten und ein silbernes Döschen in der Linken, gefüllt mit süßen Kleinigkeiten, die sie an die Umstehenden verteilen. Doch während die Anführer des Zuges in hellen Farben daherkommen, wirken die anderen dunkler. Und mit ihnen naht eine Schar von Bösewichten, von skurrilen und riesenhaften Gestalten. Von gesichtslosen Monstern zum Teil, die Angst und Schrecken verbreiten. „Die Krankheit“ hat einer auf eine große Fahne gepinselt, der Anführer einer Gruppe von Hexen und Teufeln, die auf einen Gekreuzigten einschlagen. Blasphemische Höllenvisionen werden so sichtbar, übertönt von Endzeitlauten vom Tonband.


Polkaklänge machen den Narren Beine: Maskenaufzug in Dosoledo, Foto: Ralf Siegele


Gut und Böse zeigen sich so beim Umzug in Dosoledo. Freude und Leid verkörpern sie, Armut und Reichtum, aber auch Winter und Sommer. Gegensätze, die das Leben erst ausmachen. Ziel aller ist die Piazza Tiziano, der große Platz vor der Kirche, wo die Musiker schließlich zum Tanz aufspielen, zum großen finalen Reigen. Jeder tanzt jetzt mit jedem. Die schöne Bäuerin mit dem Teufel, die alte Hexe mit dem jungen Alphirten. Einmal im Jahr steht die Welt so Kopf, vermischen sich Realität und Fantasie im Zeitraffer auf dem Dorfplatz. Nach dem Mittagessen wiederholt sich das Spektakel, ziehen die Narren noch einmal durchs Dorf. Wieder wird getanzt und gelacht, beseelen Grappa und Glühwein die Lebensgeister. Pfarrer und Teufel sind längst einer Meinung. Und auch die Hexen wissen, was sie an ihrer Heiligen haben. In Apollonias Namen wird Glas auf Glas geleert, beschließt Dosoledo seinen höchsten Feiertag. Und natürlich lassen Laché und Matazin ihre bunten Röcke noch manches Mal durch die Luft fliegen.

www.comelicosappada.it

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