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Hauptsach wiascht!
Junge Sicht auf alte Fux-Fasnet von Jeremias Heppeler
In meinem Kopf Meine Mutter baut sich grenzwertig euphorisiert vor mir auf. Auf ihren Oberkiefer hat sie ein falsches Gebiss gesteckt und aus dem originalen Unterräff mehrere Zähne herausgeschwärzt. Ihr zu einem unförmigen Klumpen ausgestopfter Körper ist über und über mit Goldketten und Tierfellen behangen, dazu trägt sie eine dicke Nickelbrille, eine schäpps sitzende Strickmütze und mehrere falsche Warzen. Als Krönung lässt sie ein Auge stilecht in Karl-Dall-Manier hängen. Der Volksmund spricht von einem „versaichten Augendeckel“. Sie, die normalerweise täglich in voller Fahrt den Rückspiegel ihres Autos bei halsbrecherischen Nachschminkaktionen verbiegt, suhlt sich in ihrer eigenen Abscheulichkeit. Auch vor mir machte ihre masochistische Fasnetspassion nicht halt; und so wurde ich als kleiner Stöpsel als „widerwärtiger Sauhund“ in den Kindergarten gestellt, wo ich zwischen all den Cowboys und Prinzessinnen ein nicht zu vermittelndes Außenseiterdasein fristete. Auf meine Nachfrage antwortet meine Mutter-Maschger lapidar: „Hauptsach wiascht!“
Es ist Fasnet in Fridingen und es ist alles anders. Während dieser verkehrten Zeit, deren Tradition hier nachweislich und schriftlich bis ins 18. Jahrhundert, recht sicher aber noch viel weiter zurückreicht, bezeichnet sich das gesamte Städtchen als „Fuchsau“. Das ist meine Fasnet. Sie prägt mich. Aber SIE halt auch (unerbittlich): „Hauptsach wiascht!“ Es gibt kein Entkommen. Ich greife vor, das Bild in meinem Kopf stammt von irgendeinem vergangenen Fasnetsmontag, das ganze Theater beginnt aber einige Tage früher, am Schmotzigen. Wann denn auch sonst. Einige treffen sich schon vor Brauchbeginn, sie nennen es „Frühstück“, ich nenne es „Vorglühen“. Danach werden die Schulen Fridingens gestürmt, und zwar alle.
Schulen und Rathaus. Die Alltagsreglungsgroßinstitutionen werden lahmgelegt. Schüler befreien und Schlüsselübergabe – die Fridinger Fasnet beginnt mit einem gehörigen Schuss Anarchie, wenn sie auch in ritualisierte Formen gepresst wird. Und doch zieht sich dieser Funke Unberechenbarkeit wie ein roter Faden durch die gesamte Woche. Wer Glück hat, schafft es ins überfüllte Rathaus und kann sich dort an den Köstlichkeiten der Obrigkeit laben. Ansonsten zerbröckelt die Gruppen vorerst und jeder zieht sich erstmal in sein Hauptquartier zum Vorschlafen zurück oder findet ein Mittagessenasyl. Denn da sich ein Großteil der närrischen Aktivitäten im Städtle, abspielt, der Fridinger Altstadt, richtet sich dort beinahe jeder Narr bei Verwandten oder Bekannten ein Basislager ein; Geld, Klamotten, Narrenhäs, Masken, Utensilien vorbereiteter Maschgernummern und allerlei andere nützliche Dinge werden dort gebunkert.
Um 14 Uhr, „umma zwoa“, – so etwa –, folgt der Pflugumzug (früher schlicht Narrensamen säen): Er eröffnet die Fridinger Fasnet nicht nur auch für Fastnachtstouristen erkennbar, sondern er hämmert sich durch diesen übersprühenden Tag als dessen kochendes Herz. Das gesamte Figurenkabinet – Narren, Alte Weiber, Geiselschwenker, Sämanne, Plugheber, d’ Narrenvater, d’ Schultes, Aufsager, Schreihälse, Zuspätkommer, - selbst Mühlheimer Geißen mischen sich inkognito unters Volk – versammeln sich relativ unpünktlich auf dem Kirchplatz. In meinem Kopf Ist das grausam? Politisch nicht korrekt? Oder halt Fasnet? In Fridingen ist das Schauspiel so gesehen abgeschwächt und anstatt der hilflosen Frauen zieht die Fridinger Hauptfigur, der Narr, der umgangssprachlich als Fuchs geführt wird, den Pflug. Wer einen Nachmittag lang ein Sprichwort von einer gesamten Narrenhochburg verkörpert sehen will, muss am Schmotzigen zu uns kommen: Nirgends auf der Welt findet sich das sprichwörtliche Narrenseil deutlicher inszeniert. Die oben beschriebene Symbolik jedoch, die erst die moderne Fastnachtsforschung wiederentdeckt hat, ist für mich als junger Narr so erhellend wie verstörend.
Die einsame Stärke der Alten Weiber ist ihre Stimme. Laut. Schnell. Messerscharf. Sagen wir es so: Wer einmal das überall in der Fastnacht bekannte Aufsagen nicht mit dem Taschenmesser, sondern mit dem schwingenden Richtschwert erleben möchte, und zwar mehr als hautnah – hier und jetzt entkommt er ihm nicht mehr.
In meinem Kopf Seit ich dabei bin, blicke ich da so um mich. Die unterschiedlichsten Typen treffen da aufeinander. Ob alter Kumpel, Riesenarschloch, alter Seckel, junger Saicher – plötzlich sind irgendwie alle gleich, und das nicht nur aufgrund der fastnächlichen Uniformierung. Tatsächlich: Es trifft der Nüchterne auf den Fünf-Grappa-zum-Aufwärmen-Helden, der ravende Techno-DJ auf den australischen Auswanderer, der Jungfeuerwehrmann auf den Ska-Musiker und die dann alle auf mich; sie wissen freilich nicht, dass ich über sie schreibe.Und in allen Adern tuckert dasselbe Gift. Es heißt: „Glei goht’s los!“
Doch bevor die wilde Jagd durch die Fridinger Gassen scheppert, werden die neuen Häser eingeweiht. Ein Fridinger Narrenhäs wird nicht bemalt, die handgefertigten, vielformigen Filzplätzle werden mehrfach übereinander auf Leinenstoff genäht. Gekrönt wird der Fuchs von einer, von ausgewählten Spezialisten (die allesamt aus Fridingen stammen) geschnitzten Glattlarve aus Holz im Barockstil, die ein markiges, spitzbärtiges Männergesicht zeigt; das sich dann aber von Narr zu Narr in kleinen Nuancen unterscheiden kann. Der Fridinger Narr trägt den obligatorischen Fuchsschwanz ungewöhnlich am Stirnansatz. Wer sich genau unter dem Häs verbirgt, verrät das auf den Rücken des Narren genähte (Familien-)„Wappen“, das optisch glänzende, inhaltlich kryptische Hinweise auf den Besitzer und auf das Einweihungsjahr gibt. Das hier Stoff gewordene Insiderwissen erschließt sich allein dem Ortskundigen, denn Übernamen gehören auch hier wie anderenorts allein dem kollektiven Gedächtnis. Die älteste Larve stammt übrigens aus dem Jahre 1814, das älteste Narrenkleid ist auf das Jahr 1856 datiert. Fertige Narrenhäser werden heute auf dem Kirchplatz durch einen unmaskierten Juzger des zukünftigen Trägers ins Mikrofon eingeweiht und ins närrische Leben gesetzt. Das ist eine wirkliche Initiation. So mancher Narr hat sich dabei schon derart blamiert, dass er sich wohl am liebsten für den Rest der Woche in seinem Basislager verschanzt hätte.
Hunderte auf, Hunderte neben den Straßen. Das Schauspiel wirkt umso imposanter, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass nach dem Zweiten Weltkrieg ein paar Hansele vor den Pflug gespannt werden konnten. So finden auch im traditionellen Rahmen immer wieder Veränderungen statt, der Prozess Fasnet befindet sich im stetigen Wandel und ist noch längst nicht abgeschlossen. Nachdem sich der Umzug durchs Städtchen geschlängelt hat, löst sich der feste Verbund auf und das bunte Narrentreiben weitet sich willkürlich in alle Richtungen aus. Natürlich haben zu dieser Zeit alle Gaststätten Hochbetrieb. Ausgemachte Narrenwirtschaften finden wir im rustikalen „Bären“, dem zentral gelegenen „Löwen“ – der ersten Station auf dem Weg der durch alle Wirtshäuser tingelnden Musik - und vor allem im urigen, altehrwürdigen „Scharf Eck“.
Jeder Narr legt sich auf diesem Weg eine Route mit verschiedenen Haltepunkten zu, bei der er genau weiß, wo und zu welchen Zeitpunkt er ein umfangreiches Vesper, ein klassisches Glas Bier oder auch den wärmenden Schnaps bekommt. Es gibt regelrechte Maschgerehochburgen, Häuser, in denen es Massen von Schwarzwurst, Landjägern und Bauernbrot und natürlich eine große Auswahl an Likören und Obstlern zu vernichten gilt. In solchen Häusern schaut dann auch beinahe jeder Narr einmal vorbei. Im Gegensatz dazu stehen die Geheimtipphäuser, Zugezogene, die alles richtig machen wollen und großzügig die tollsten Spezialitäten auffahren. Typischer Anfängerfehler, denn „maschgere“ heißt auch, es wird gefressen, was auf den Tisch kommt. Alles, was im Alltagsleben verschmäht wird oder gar Ekel hervorruft, wandert ohne Murren und in Massen ins Körperinnere. So finden hin und wieder auch einmal die Tischdekoration oder das Blumenwasser den Weg in den Magen-Darm-Trakt. Ein längerer Hausbesuch endet dann traditionell im Stumpensaufen – Erklärung überflüssig.
Entsprechend spaßig oder verheerend verläuft der Schmotzige Jahr für Jahr, und deshalb hat sich wohl noch keiner beklagt, dass mit dem Fasnetsfreitag eine klassischer Ruhetag folgt, an dem man bis in die Puppen pennt und den Magen mit magerer Hühnersuppe beruhigt. Laut Narrenfahrplan geht es erst am Fasnetsmontag weiter, doch seit vielen Jahren bildet der traditionelle Musikkappenabend – eher ein Ball – einen weiteren Referenzpunkt und lässt somit ein vermeintlich lahmes Wochenende überbrücken. Ungefähr zur selben Zeit, zu der das Festen am Schmotzigen zu Ende ging, setzt es am Montagmorgen wieder ein. Ab vier Uhr in der Frühe beginnt das Fasnetsuchen (heute hört man auch Fasnetwecken), bei dem willkürliche und frei verkleidete, allerdings wie die Alten Weiber mit einem Vorhang vermummte Frühaufsteher durch das verschlafene Fridingen ziehen und durch wunderliches Juchzen und Krachmachen das Städtchen ausleuchten und wecken. Der Montag ist der Haupttag, entsprechend intensiv ist das bevorstehende Programm.
Kaum hat sich der Hardcore-Narr, der wirklich alles mitnehmen will, aus den Fasnetsucherklamotten geschält, sollte er eigentlich schon wieder als Hemedglonker vor dem Wirtshaus „Sonne“ stehen. Jetzt wird auch die Notwendigkeit eines Basislagers überdeutlich, denn gerade am Montag werden mindestens vier komplett verschiedene Outfits verschlissen. Der Hemedglonker trägt ein weißes Hemd, eine schwarze Mütze und dazu ein rotes Halstuch; während des morgendlichen Umzugs wird ein Best-of der witzigsten Ereignisse des vorangegangenen Jahres vorgetragen. Diese Stories fanden zuvor auch schon Platz in der „Fuchsfalle“, der Fridinger Narrenzeitung, die ohne Redaktion auskommt und somit die Stimme des Volkes auf natürlichstem Wege weitergibt. Am Nachmittag dann der zweite große Umzug, auch dieses Mal angeführt von der Stadtmusik, gefolgt von der großen Schar der Narren, die mit Gutsle um sich schmeißen.
Wochen der Vorfreude, angeheizt von Narrentreffen und Kappenabenden und der Vorbereitung, inklusive dem Ausfeilen der Nummern, Wagen bauen, Kostüme zusammenstellen, gipfeln in diesem Moment. Viele Vereine und freie Gruppen setzen sich unter einem Motto in Szene, das ein närrisches Ortsereignis des vergangenen Jahres zur Sprache bringt. Solche Umzugsmotti münden später am Tag ins freie wilde Maschgere.
Während des Umzugs sorgen Kalauer und Klassiker, wie „Jetzed, sind ehr au scho närrsch?“ oder „Jetzet, häschd g’metzged, dass ded’ Saukopf so zum Fenster naushängst?“, und zu den Nummern spezifische Sprüche (natürlich ebenfalls vom in allen Situationen funktionierenden „Jetzet“ eingeleitet) für mehr oder weniger intensive Konversation. Die ist allerdings in jedem Fall so ausgeprägt, dass der anfangs in Gruppen wohlgeteilte Umzug schlussendlich zu einem gemeinschaftlichen Durcheinander durchmischt wird.
Doch die Zeit steht nicht still. Und so stellen sich in der Tat auch während der Fasnetszeit Fragen nach Globalisierung und Fast-Food-Essgewohnheiten, wenn sich der moderne Narr von heute seine Grundlage für den abendlichen Rausch nicht mehr im Wirtshaus bei Kuttlesupp’ und saure Leberle aufbaut, sondern sich lieber einen Kebab mit allem reinpfeift. Der passende Soundtrack schallt dazu aus den Boxen: „Ich hab ’ne Zwiebel auf dem Kopf, ich bin ein Döner ...“, und damit wären wir bei einem weiteren, etwas beängstigenden Phänomen. Denn in Zeiten der Spaßgesellschaft, in denen Flatratepartys beinahe salonfähig geworden sind, steht es den Jugendlichen meist eher nach „Rausgehen, feiern, Party machen!“ als nach den alten, womöglich ziemlich angerosteten Traditionen.
Der Eventcharakter hat angedockt und droht mit Invansion Fasnet wird zum Feiermarathon, in Fridingen wie in anderen Klein- und Großstädten, es trifft jede Hochburg der schwäbisch-alemannischen Fasnet. Partys und Feste sprießen wie Pilze aus dem Boden und stehen zunehmend in Konkurrenz zu dem alten Brauchtum. Aktuell läuft alles munter nebeneinanderher, aber es wird der Zeitpunkt kommen, an dem reagiert werden muss – von uns Narren, den regional Verantwortlichen, den Großorganisationen, ich weiß es nicht –, damit das vorhandene Gleichgewicht nicht kippt.
Am Ende der vielleicht anstrengendsten Woche des Jahres sammeln sich am Dienstag, dem Vorabend des Aschermittwochs, die letzten übrig gebliebenen Mohikaner zu einem traurigen Marsch. Doch auch denjenigen, die sich dieses eine Mal noch aufgerafft haben, um der dahinwelkenden Fasnet beim Fasnetsvergraben die letzte Ehre zu erweisen, sind die Strapazen der letzten Tage deutlich anzusehen. Die Körper sind schlaff und ausgebrannt, die Gesichter sind blass und ausgemergelt und glücklicherweise größtenteils hinter den Larven versteckt. Einige stehen nur noch teilnahmslos herum, die anderen bringen mit heiser krächzenden Stimmen ihren Kummer zum Ausdruck.
Früher wurde kurzerhand das älteste Narrenhäs der gesamten Belegschaft unter überspielt echter Trauer und einer langen Leichenrede im Dung vergraben. Inzwischen gibt es in Fridingen nur noch eine letzte Miste, und der Wert der Häser und Larven, die dort so zahlreich verrotteten, wird heute so hoch eingeschätzt, dass es alljährlich nur noch zu einer symbolischen Beisetzung kommt. Wie die Indianer ihr Kriegsbeil, so vergraben die Fridinger ihre Narrenpuppe im dampfenden Mist und nachdem sich die absoluten Hardliner dann noch im „scharf eck“ den Frust aus den Mundwinkeln gespült haben, kehrt für ein Jahr wieder Ruhe ein im Oberen Donautal. Zumindest vielleicht.
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