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Wo der Narro den Kragen stellt Fasnet in der alten Zähringerstadt Villingen von Petra Walheim Wer die Villinger Fastnacht sehen will, muss schon hinfahren, in die alte Zähringerstadt. Denn bei Narrentreffen oder auswärtigen Umzügen sind die Villinger Narren nicht zu finden. Sie haben sich vor Jahrzehnten entschieden, dass ihre Fastnacht in der Stadt bleibt, und sind aus der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte ausgetreten. Damit hat diese ihr Juwel verloren. Und das ist nur eine Besonderheit, die die Villinger Fastnacht zu bieten hat. Eine andere ist das Miteinander von jahrhundertealter, traditionsreicher schwäbisch-alemannischer Fasnet und dem Karneval. Das ist äußerst selten. Die meisten anderen schwäbisch-alemannischen Zünfte wehren sich entschieden gegen karnevalistische Einflüsse, doch in Villingen verbindet man beides.
Für die traditionsbewussten, närrischen Villinger ist das der Moment, auf den sie immer wieder aufs Neue ein ganzes Jahr lang warten: Spätestens am Morgen des Fastnachts-montags, wenn der Narrovater stolz hoch zu Ross und mit der Fahne in der Hand den historischen Umzug der Narrozunft anführt, geht ihnen das närrische Herz auf. Und nicht nur ihnen. Da stehen auch viele Auswärtige an den Straßen der Villinger Altstadt und bewundern die einzigartige Vielfalt an Narrenkleidern, Masken – in Villingen Schemen genannt – und Figuren. Da glänzen selbst kritischen Beobachtern aus anderen Fastnachtshochburgen der Region die Augen, wenn sie den bunten Strom der Narren an sich vorbeiziehen sehen. Sechs verschiedene Typen sind in der Historischen Narrozunft Villingen versammelt: der Narro, ein typischer Weißnarr, der oft in Begleitung einer Altvillingerin auftritt; der Stachi mit einer Scheme, die den aussagekräftigen Namen Surhebel trägt; das Morbili ist eine weitere weibliche Figur; der Butzesel ist eine Tierfigur, die von Treibern in Schach gehalten wird; und der Wuescht ist eine ganz und gar ungewöhnliche Gestalt in einem alten Narro-Häs, das derart mit Stroh ausgestopft ist, dass die Narren darin nur noch mit Mühe gehen können.
Der Fastnachtsmontag ist vor allem für die Narrozunft der Höhepunkt der Fasnet. Bis dahin steigern sich Vorfreude und Spannung bei allen Villinger Narren von Dreikönig an. Anders als beim rheinischen Karneval beginnt die schwäbisch-alemannische Fasnet nicht am 11.11., sondern am 6. Januar, dem Dreikönigstag. An diesem Tag sind eingefleischte Narren vorwiegend zu Hause anzutreffen, denn nach dem Essen müssen sie – so will es die Tradition – ihre Scheme aus dem Schrank oder der Truhe holen und gut sichtbar aufhängen, getreu dem Spruch: „An Dreikönig nach dem Essen rennt der Narro wie besessen auf den Speicher im Trab-Trab, holt Narrohäs und Scheme rab.“ So hat der Narr die Maske stets vor Augen, damit die Vorfreude ordentlich wachsen kann.
Einen weiteren Schub bekommt diese am Abend des Dreikönigstags: Die Straßen erstrahlen noch im weihnachtlichen Glanz, da sind die Narren zum ersten Mal wieder auf der Straße. Vorbei an Weihnachtsbäumen und unter den Lichterketten hindurch marschieren die Ratsherren der Narrozunft vom Riettor in der Villinger Altstadt zum Narrobrunnen. Begleitet werden sie von der Stadt- und Bürgerwehrmusik. Dort wird ein aus Holz geschnitzter und mit einem Kranz geschmückter Narro auf den Brunnenplatz gestellt. Seine Aufgabe ist, jedem in der Stadt zu verkünden: „’s goht dagega!“ Narro, Narro Lumpenhund, Villinger Fasnetsprichli Zu dieser Zeit laufen lange schon die Vorbereitungen für die zwei Fastnachtsbälle, die die Narrozunft und die Glonki-Gilde ausrichten. Das Programm der Abende lebt von dem, was sich das Jahr über in der badischen Stadt auf politischer und gesellschaftlicher Ebene getan hat. Alles, was schief gelaufen und mehr oder auch weniger an die Öffentlichkeit gedrungen ist, wird auf die Bühne gebracht und durch den Kakao gezogen. Spätestens zu der Zeit machen sich Narren, die die Fasnet auch ernst nehmen, die ersten Gedanken um ihr Häs, schauen nach, ob es vollständig und in Ordnung ist. Das Häs des Villinger Narro zum Beispiel ist derart aufwändig, dass die Zunft in den Wochen vor der Fasnet spezielle Narro- und Mäschgerle-Abende anbietet. An diesen Informationsabenden wird interessierten Mitgliedern und Neulingen gezeigt, wie sich Narro, Altvillingerin, Stachi und Morbili richtig anziehen. Beim Narro kann das dauern: Die Grundlage seines Häses sind eine viel zu weite Hose und ein ebensolcher Kittel aus grobem, hellem Leinenstoff. Beide Teile sind mit Ölfarben bemalt. Auf der Vorderseite der Hosenbeine stehen Löwe und Bär, sie sollen die adligen Wappentiere karikieren. Die Rückseite schmücken Hansele und Gretele. Der Hans hält eine Wurst in den Händen, ein Zeichen für die fleischlichen Genüsse. Der Häskittel ist nur etwa hüftlang und zeigt vorne Fuchs und Hase. Auf dem Rücken ist erneut der Hansel zu sehen, der eine Katze neckt. Hose und Kittel sind zusätzlich mit Pflanzenornamenten verziert. Auf die Ärmel sind Würste gemalt. Sie weisen darauf hin, dass vor der Fastenzeit noch einmal ordentlich gegessen und getrunken werden darf. Weil Hose und Kittel so weit sind, müssen sie mit dicken Hosen und einem alten Mantel ausgefüllt werden. Das dient dazu, die Figur des Menschen, der darin steckt, zu verfälschen. Denn die Anonymität des Narros ist mit das Wichtigste. Derart ausgestopft lädt sich der Narro vier Lederriemen mit je elf Rollen auf die Schultern. Rollen, das sind aus Bronze gegossene runde Glocken. Sie wiegen zusammen 20 Kilogramm und werden vom Narro beim Sprung zum Klingen gebracht. An den Rollen links hängt das Foulard, ein edles, farbenprächtiges Seidentuch, das der Narr während des Umzugs eitel präsentiert. Auf den Kopf kommt die Häskappe. Sie ist ebenfalls aus hellem, grobem Leinenstoff und bemalt. An ihr hängen ein Fuchsschwanz und die Scheme, also die Maske aus Lindenholz. Sehr auffällig an Narro und Stachi ist der überdimensionierte, gefältelte und gestärkte weiße Kragen. Unter dem Kinn hängt eine riesige bunte Masche, die dem Narro bis über den Bauch fällt. Schwarze Lederschuhe und -handschuhe sind Pflicht. In der Hand trägt der Narro als Veralberung der Waffen der Adligen den klobigen, hölzernen Narrensäbel. Die Maidli sind veränderlich, Wuescht-Sprichli Die Villinger Narren legen sehr viel Wert darauf, dass die Schemen ihrer Figuren von Hand geschnitzt und nicht gefräst sind. Dafür sorgt in Villingen vor allem Manfred Merz. Der heute 82-Jährige ist der bekannteste und beliebteste Schemenschnitzer in der Stadt. Unzähligen Masken hat er den typischen Ausdruck verliehen – und dabei ist keine wie die andere. Vor allem der Surhebel, den der Stachi trägt, bietet eine Fülle von Gestaltungsmöglichkeiten. Die Scheme hat meist einen derben, oft spöttischen, griesgrämigen, bärbeißigen oder auch sauertöpfischen Ausdruck. Er wird auch als Abart des Narros bezeichnet, denn er trägt die gleichen Hosen wie er. Nur statt des Narrokittels und der Rollen kleidet sich der Stachi mit einer blauen Fuhrmannsbluse. Zu seinem Häs gehören aber auch der riesige Kragen, die Masche und der Fuchsschwanz. Statt des Narrensäbels trägt er einen Tischbesen, einen Teppichklopfer oder einen Staubwedel bei sich. Manche sind auch mit der sogenannten Narrenschere unterwegs, mit der sie während des Umzugs die Hüte und Kappen der Zuschauer weiterreichen. Ganz wichtig in der Villinger Fastnacht ist das Strählen. Das heißt, die Narren sagen den Zuschauern, egal ob bekannt oder nicht, die Meinung, halten ihnen den Narrenspiegel in Worten vor, aber nie böse, sondern immer mit viel Ironie und Humor. Manchmal reicht es schon, rote Haare zu haben, um gestrählt zu werden. Lange Zeit war die Fastnacht reine Männersache. Frauen wurden bestraft, wenn sie maskiert ertappt wurden. Doch im Zuge der Gleichberechtigung wurde nach und nach auch den Frauen erlaubt, bei Umzügen mit dabei zu sein. Aus den Anfängen der gleichberechtigten Fastnacht stammt die Figur der Altvillingerin. Anfang des 19. Jahrhunderts tauchte sie bei der Villinger Fasnet auf, und zwar in der vorderösterreichischen Tracht mit kunstvoll handgearbeiteter Radhaube, die damals getragen wurde. Heute sind die Frauen in Tracht, meist am Arm eines Narros, etwas Besonderes. Damit auch der Stachi nicht allein bleiben muss, hat er das Morbili an die Seite bekommen. Auch darin stecken Frauen in Tracht, mit dem Unterschied, dass sie keine Radhaube tragen. Die Scheme zeigt meist ein schmallippiges, altes Weiblein, das mal spöttisch, mal verschmitzt oder auch nachsichtig lächelt. Erst wenn Scharen der beschriebenen Figuren zu den Klängen des Narromarsches an den Zuschauern vorbeispaziert und gesprungen sind, folgen die Butzesel mit ihren Treibern. Und meist haben die Esel an ihren Ohren dann schon jede Menge Würste hängen. Denn der Butzesel, dessen Anzug aus verschiedenfarbigen Stoffflecken besteht und der einen großen Eselskopf trägt, reißt ständig aus, stürmt in Metzgereien, Bäckereien und Wirtschaften und stiehlt alles, was ihm in die „Hände“ kommt. Seine Treiber, das sind spezielle Stachis mit Peitschen, sollen ihn davon abhalten. Der Butzesel wurde wegen seiner Lebhaftigkeit immer wieder verboten. Doch die Villinger halten an ihm fest. Den Abschluss des Umzugs gestalten die Wuescht. Sie sind das krasse Gegenteil der edlen, stolzen Narros, obwohl sie deren Häs tragen. Allerdings nur die alten, abgewetzten Häser. Die werden mit Stroh ausgestopft, so fest, dass die Menschen darin gerade noch gehen können. Im Lauf des Umzugs wird das Stroh in den Hosen und Kitteln weniger, denn die Wuescht stopfen es in die Jacken und Mäntel ihnen bekannter Zuschauer. Auch wenn es lästig ist, das kratzige Stroh in der Jacke zu haben, solange der Wuescht in Sichtweite ist, sollte es nicht entfernt werden, sonst wird man vollständig mit Stroh ausgestopft. Viele Zuschauer tragen ihr Strohbüschel mit Stolz durch die Straßen.
Es gibt etliche Chancen, mit Stroh ausgestopft zu werden. Die erste bietet sich am Fastnachtsmontag-Morgen beim Historischen Umzug der Narrozunft. Die zweite am Nachmittag beim Maschgerelauf. Das ist ein Umzug ähnlich dem am Morgen, doch werden dabei den vielen auswärtigen Gästen die historischen Figuren vorgestellt und erklärt. Nach dem Umzug am Montagmorgen, wenn die historischen Narren in Grüppchen oder einzeln durch die Straßen ziehen, sorgt der Katzenmusikverein „Miau“ mit seinen fantasievoll gestalteten Wagen für Stimmung in der Stadt. Die Katzenmusik bringt so die Themen auf die Straße, die das politische und gesellschaftliche Leben in Villingen bestimmen und die Menschen bewegen. Das Zuschauen lohnt sich nicht nur wegen der guten Stimmung. Die Katzenmusik wirft auch Süßigkeiten zuhauf in die Menge. |
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