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Musik und Tanz in der Fasnacht
von Wulf Wager Neben der Maskierung und Vermummung ist die Musik, und auf ihr basierend der Tanz, das dritte wichtige Element, das im Narren geradezu einen "mentalen Ausnahmezustand" hervorruft. Musik vermag Stimmungen und Gefühle zu entfachen und zu verstärken. Insofern ist Musik kaum rational zu erklären. Jeder empfindet sie anders. Rufen wir uns doch in Erinnerung, welch Empfindung man verspürt, wenn beispielsweise am Heiligen Abend das Lied "Stille Nacht, heilige Nacht", gesungen wird, oder wenn bei einer Beerdigung das Lied "Ich hatt’ einen Kameraden", geblasen wird. Ähnlich stark ist bei manchen Menschen die Empfindung, wenn nach fast einem Jahr zum ersten Mal wieder der Narrenmarsch erklingt. "Da läuft einem innerlich eine Träne hinunter", so hat mir gegenüber einmal ein befreundeter Narr diesen Gemütszustand beschrieben. "Mentale Authentizitätsbefindlichkeit" würde der Volkskundler dazu sagen. Für den einen mag das Klingen der Basler Piccolopfeifen nur ein schrilles, bis an die Schmerzgrenze heranreichendes Klirren und Sirren in hohen Frequenzen sein. Dem anderen vermittelt dieser Klang ein wohliges Gefühl, das mit einer Gänsehaut verbunden ist, und das ihm vermittelt: "Jetzt isch Fasnacht!". Musik in der Fasnacht ist so selbstverständlich, daß sich bisher nur wenige Forscher umfassend mit ihr beschäftigt haben. Von der Musik des Narren Während auf der einen Seite die Kirchenmusik mit ihren strengen harmonischen und formgebenden Regeln als höchste Kunstform und gleichsam als Zeichen der Gotteserkenntnis steht, gibt es auf der anderen Seite die profane Musik der Narren, die auf einfachsten Instrumenten gespielt wird. Bereits im Mittelalter findet man auf vielen bildlichen Darstellungen Narren mit immer denselben Instrumenten. Da ist zum einen die "Sackpfeife", der Dudelsack. Zum anderen sind es Trommel und Pfeife. Sebastian Brant stellt in seinem "Narrenschiff" 1494, im Kapitel "von ungedult der straff", einen Sackpfeife spielenden Narren dar, der Laute und Harfe, also hochentwickelte Kunstinstrumente zugunsten der einfachen groben Sackpfeife beiseite gelegt hat. Brant: Ein Sackpfiff ist des narren spil der harpfen achtet er nit vil Noch um 1860 herum muß die Sackpfeife oder der Dudelsack in Munderkingen bekannt gewesen sein, denn Carl Borromäus Weitzmann schreibt in seinem "Lied, beim Faschings-Begräbnis zu singen" Vollgesoffen, lahmgetanzt, Ruht des Faschings dicker Wanst Auf dem Leichenbette. Krüg und Gläser liegen leer Und zerstückelt um ihn her Dudelsack und Flöte... In den bildlichen Darstellungen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, begegnet uns der musizierende Narr fast ausnahmslos als allegorische Figur. Neben Teufeln, Spielleuten und Lastertieren, war er der Gegenspieler des meist durch David verkörperten weisen Musikers. Die geordnete geistliche Musik ist als Zeichen der Gotteserkenntnis zu verstehen, während die einfache Musik des Narren für Dummheit und Ignoranz steht. Musik und Tanz galten seit dem Mittelalter als Verführung zu den Todsünden. Tanz, als Beginn wollüstigen Handelns verstanden, war in den Augen der klerikalen und weltlichen Obrigkeit Teufelswerk. Verdeutlicht wird dies durch ein Zitat des Kapuzinerpredigers Dionysius von Lutzenburg im Jahre 1688: "Der Satan hat keine Zeit lieber, als beim Tantzen. Sobald als durch seine Anstiftung ein Tantz anfange, wo wirfft er auch sein Netz auß die Seelen zu fangen, umb wann sie davon den Schwindel bekommen sie in sein Garn zu verwickeln. Das Netz oder Garn seynd die Spielleut, das Fressen, das Sauffen, das Hüpfen, das Springen, das unzüchtige Küssen und geyle Tasten." Auch Sebastian Brant führt in seinem "Narrenschiff" den Tanz als Teufelswerk auf: Von dantzen Ich hielt nah die für narren gantz Die freüd und lust hant in dem dantz Und louffen umb als werens toub Müd füß zu machen inn dem stoub Aber so ich gedenk dar by Wie dantz mit sünd entsprungen sy Und ich kan mercken und betracht Das es der tüfel hat uff bracht Do er das gulden kalb erdacht. Der dazugehörige Holzschnitt verdeutlicht auch, worauf es dem links abgebildeten Narren ankommt: Er zieht seiner Tänzerin den Rock hoch und faßt ihr ohne Umschweife in den Schritt. Der Tanz, sowohl als repräsentatives Schaubrauchtum, wie auch als paarbezogenes, individuelles Phänomen, ist ein wesentliches Element fasnächtlichen Treibens. Weil es beim Paartanz immer wieder zu unzüchtigen Handlungen kam, finden wir heute zahlreiche Hinweise auf Verbote des Tanzens während der Fasnacht in alten Gerichtsakten. In Konstanz wurde 1531 das Tanzen als Teufelswerk generell verboten, was aber z.B. drei Jahre später mehr als 100 Bürgerinnen und Bürger während der Fasnacht ignorierten und dafür bestraft wurden. In Rottweil heißt es 1738, daß den Gesellen der "Tanz samt Maskerade verboten" sei. Nur wenige Jahre später, nämlich 1743 wurde im prostestantischen (!) Schwenningen der halbe Flecken verhaftet. Fast alle Familien hatten beim Fasnetstanz gefeiert. Verbote und Verordnungen ziehen sich kontinuierlich durch die Fasnachtsgeschichte. Jeder Tanz bzw. jede Tanzveranstaltung und Tanzaufführung mußte genehmigt werden. 1805 erläßt das "Hochfürstlich Fürstenbergische Polizeyamt", in Donaueschingen eine "Redoute-Ordnung", bei der fast jede Regung der Gäste kleinlich reglemetiert wird. So auch das Tanzen:
Hier wird sogar auf die Art des Tanzens eingewirkt. 100 Jahre später, 1903 wurden fast noch dieselben Tänze getanzt, wie aus einer Tanzfolge aus Anlaß des 50jährigen Jubiläums der "Gesellschaft Frohsinn Donaueschingen", 1903 hervorgeht. (Abb. 3). Immer wieder wurden politische Verschwörungen hinter dem Fasnachtstreiben vermutet. Deshalb hat zum Beispiel das Bezirksamt Waldshut im Zeichen des Vormärz 1847, "das Abhalten von Tanzbelustigungen über Fasnacht" verboten. Tanzzeit - Fasnet und die erotische Komponente Im kirchlich geprägten Jahreslauf waren die Zeiten, in denen man tanzen durfte recht dünn gesät. Ostern, Pfingsten, Kirchweih, Sichelhenke, Hochzeiten und eben insbesondere die Fasnacht boten die Gelegenheit zum Tanz. In der Adventszeit, in der Fastenzeit und in der Erntezeit gab es keine Tänze. Kein Wunder, daß man die spärlichen Möglichkeiten intensiv nutzte. Zumal der Tanz die Möglichkeit bot, das jeweils andere Geschlecht offiziell und ohne moralische Skrupel "anzufassen" und sich näher zu kommen. Die christliche Fastenzeit verlangte eine Fleischlosigkeit im doppelten Sinne. Neben dem Verzicht auf Produkte warmblütiger Tiere, war auch eine sexuelle Abstinenz gefordert. Insofern gab es vor der Fastenzeit einen extensiven Genuß von Fleisch. Außerdem zeichnete, und zeichnet sich noch, die Fasnachtszeit durch eine erhöhte Sexualität aus. (Der Autor hat dieses Phänomen nicht näher untersucht - er ist nur mit wachen Augen durch die Fasnacht gegangen.) In manchen Gegenden wird der Fasnachtsmontag auch "geiler Montag" genannt. Drei Arten von Erotik sind im musikalischen Erlebnisbereich der Fasnacht erleb- oder spürbar und zu unterscheiden: 1. die tatsächlich vorhandene 2. die dargestellte und 3. die persiflierte Die erste offenbart sich im Tanz allgemein. Die ganzen Ursachen zu untersuchen, die im Zusammenhang von Tanz und Lust stehen, würden den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen. So begnüge ich mich hier damit, darauf hinzuweisen, daß beim Tanz fast alle unsere Sinne angesprochen werden. Wir hören Musik, sehen und berühren, riechen und schmecken den (Tanz-) Partner. Durch starke Bewegung ensteht Körpergeruch und der enthält bekanntlich Sexualduftstoffe. Durch die Art der Bewegung beim Tanz und durch die bloße Nähe im Zusammenwirken mit den bereits genannten Sinneswahrnehmungen entsteht eine erotische Komponente, die durch den die Hemmschwelle herabsetztenden Genuß von Alkohol, noch gesteigert wird. Die klerikale und weltliche Obrigkeit wußte schon, warum Tanz Sünde und als solche zu verbieten war. Traditionelle Narrenfiguren stellen jedoch auch gestisch das symbolische Liebesspiel dar. Somit sind wir bei der zweiten Version der Erotik, der dargestellten, immitierten Erotik angelangt. Beim Tanz der Imster Scheller und Roller werden in aller Deutlichkeit die Bewegungen des Geschlechtsverkehrs nachgeahmt. In Imst selbst wird die Bewegung auch "Ehestandsbewegung" genannt. Ähnliche Bewegungen vollführen die Schellnarren aus Wilflingen. Durch das rhythmische Vor- und Rückbewegen des Beckens und der Hüfte während des tänzelnden Narrensprungs bringen sie ihre vier bis sechs horizontal um den Bauch gebundenen Glockengürtel zum Klingen. Mit zunehmendem Alkoholgenuß wird diese Beweung immer extatischer. Die Koppulation als Persiflage finden wir nun wieder in Imst in Tirol. Dort werden die beiden schönen "Roller" und "Scheller" durch die alten "Laggescheller" und "Laggeroller" persifliert. Sie tragen keine metallenen Glocken und machen keine hohen Sprünge oder kraftvolle Lendenbewegungen. Sie tragen klappernde Holzschellen und haben Mühe, ihre Hüften zu bewegen. Diese beiden Figuren stellen die "lendenlahmen Alten" im Vergleich zu den kraftvollen schönen Tanzgestalten dar. Berufsständisches Schaubrauchtum In den Städten des Mittelalters pflegten die Mitglieder verschiedener Berufsgruppen zur Fasnachtszeit Schautänze als Repräsentationsbrauchtum. Früheste Belege für diese vorgeführten und einstudierten Tänze findet man 1397 in Nürnberg. Damals waren es die Metzger, die das Privileg zur Aufführung des "Zämertanzes" vermutlich als Dank für die Loyalität bei einem Aufstand der Handwerker 1348/49, erhalten haben sollen. Tatsächlich ist der Zämertanz von da ab, mehr als 200 Jahre lang an der Fasnacht aufgeführt worden. Beim Nürnberger Zämertanz, von dem mehrere bildliche Darstellungen aus unterschiedlichen Aufführungsjahren existieren, handelt es sich um einen Tanz, bei dem die sich die tanzenden Männer in einer langen, verschlungenen Kette an (Leder-)Wurstringen halten. Begleitet werden sie von zwei Pferdeattrappenreitern, wie wir sie vom "Brieler Rössle" in Rottweil und vom "Fasnetsbutzarössle" in Weingarten kennen. Welche Bedeutung die Wurst als Tanzgerät hat und welche Verbindung man zur Fleischlichkeit der Fasnachtstage auch ziehen mag oder sollte, eines jedenfalls scheint mir ein interessanter Aspekt zu sein: Die Schömberger Fuchswadel benützen noch heute ebenfalls eine lederne "Narrenwurst" als Tanzgerät beim Narrensprung und bei der zu Anfang des 20. Jahrhunderts entstandenen Polonaise. Daß die Metzger zur Fasnacht das Recht hatten, ihr Schaubrauchtum verbunden mit einem Fest zu feiern, scheint mir im Zusammenhang mit der recht niedrigen Verdienstmöglichkeit in der fleischlosen Fastenzeit ein notwendig gewordenes Privileg zu sein. Neben dem Zämertanz hat der "Schwerttanz" der Messerschmiede in Nürnberg eine wichtige Sonderstellung innerhalb des Schembartlaufs. Hans-Ulrich Roller zitiert eine ältere Quelle, die das Privileg der Schwerttanzaufführung bereits auf das Jahr 1350 datiert. Als weiterer Handwerkerzunfttanz ist in den Schembartbüchern Nürnbergs der Reiftanz der Tuchknappen zu finden. Schwerttanz und Reiftanz wurden auch am Fasnachtsmontag des Jahres 1551 in Ulm aufgeführt. Meist waren es die ledigen Gesellen, die mit Hilfe eines Tanzgerätes einen "Kettentanz" aufführeten. Hierbei bilden die Tänzer eine Kette, bei der als Bindeglied von Mann zu Mann ein Schwert, ein Reifen, eine Lederwurst oder ein hölzerner oder blumenbekränzter Bogen dienen kann. Schwerttänze und Reiftänze sind noch heute in ganz Europa vorzufinden. In Überlingen am Bodensee hat sich der Schwerttanz der ledigen Rebleute bis heute als ehemals reichsstädtisches Brauchtum gehalten. 1646 ist er erstmals bezeugt. Noch vor der Wende zum 20. Jahrhundert wurde der Schwertletanz alle zehn Jahre zur Fasnacht getanzt. Heute hat er seinen Platz bei der im Juli stattfindenden Schwedenprozession gefunden. Beim Überlinger Schwertletanz reichen die Tänzer, nach einem aufwendigen militärischen Zeremoniell, den eigenen Degen zum nachfolgenden Tänzer und fassen die Spitze des voraustanzenden Mannes. "Spitz und Griff" heißt diese Figur. In zahlreichen Schlangenlinien, dem "Achterlaufen", bilden die Tänzer nach dem "Degensprung", also dem "über die Klinge springen", den sogenannten "Maschen", ein Geflecht aus Schwertern, das in den Nürnberger Schembartbüchern als "Rose" bezeichnet wird. Darunter schlüpft nun der "Hänsele", die traditionelle Fasnachtsgestalt Überlingens. Dabei erschallt das dreifache Hoch der Tänzer auf die "geliebte Vaterstadt". In fast allen Schwert- und Reiftänzen Europas spielt eine Narrenfigur eine wichtige Rolle. Den oder die Narren finden wir beim Ulmer Bindertanz (der 1921 aus 119-jährigem Schlaf erweckt wurde), beim Münchner Schäfflertanz (1463 erstmals bezeugt), beim Salzburger Küfertanz oder beim Hüttenberger Knappentanz und in den zahlreichen Schwerttänzen Englands. Auch auf den Zeichnungen der Nürnberger Schwert- und Reiftänze sind Narren zu sehen. Die Aufzählung der Beispiele wäre fast beliebig fortzusetzen. Dieser Narr wird in vielen Schwert- und Reiftänzen scheingetötet. Vermutlich ist auch in dem Schlüpfen des Hänsele unter den Maschen eine solche Scheintötung zu sehen. Kann man hierin die symbolische Tötung des Gottesleugners sehen? Die Musik zum Überlinger Schwerttanz wird von Trommlern und Pfeifern gespielt, wie wir es schon bei den Ulmer Narrentänzen und beim Munderkinger Brunnensprung finden. Nach ihrer Vertreibung haben sich Siebenbürger Sachsen aus Agnetheln in Sachsenheim bei Ludwigsburg angesiedelt. Sie haben nicht nur ihre traditionellen Fasnachtsgewänder, die "Urzeln", sondern auch die Reste des Schaubrauchtums der Handwerker mitgebracht. Die Urzeln hatten in Agnetheln die Aufgabe, den Zunfttag der Handwerkerzünfte zu begleiten. Einige der Zünfte produzierten sich in simplen Tänzen. Die Schneider stellten das "Schneiderrößchen" und "Mummerl" bei einem einfachen Tanz zur Schau. Die Kürschner schickten einen Bärentreiber und einen in ein echtes Bärenfell gehüllten Tänzer ins Rennen. Die Küfer zeigten das Reifenschwingen, bei dem drei Weingläser lose in einem Faßreifen aufeinandergestellt, rhythmisch zur Musik eines Walzers um den Körper geschwungen werden. Narrensprünge Streng genommen ist alles, was über das normale Gehen hinaus an rhythmischen Bewegungen zur Musik passiert, Tanz. Hierzu zähle ich den "Narrensprung" der Rottweiler "Gschell", "Biß" und "Fransenkleidle", die tanzenden Schömberger Narren, die sich im Wechselschritt vorwärtsbewegenden Hansel Donaueschingens, die Schwenninger Narros, die das gestreckte Spielbein bis zu einem Winkel von 45 Grad hochwerfen, Geisinger Hansel, die Wilflinger Schellnarren, die hüftschwingend ihre offenen Glocken zum Klingen bringen, ebenso die trippelnd tanzende "Nüsslerrotte" aus Unterägeri (CH). Letztere besteht aus verschiedenen Maskenfiguren. Alle tanzen zu einem 3/4-taktigen Trommelrhythmus ganz spezielle Tretfiguren, bei der die erste und die dritte Zählzeit des Taktes besonders betont wird. Beim "Bödelen", einem rhythmischen Stampfen beim Volkstanz der Schweizer Urkantone kommt diese Tanzfigur ähnlich vor. Hierbei gilt es vor allem bei den "Tirolern", die kleinen Glöckchen, die an Pferdeschellenriemen befestigt sind, zum Klingen zu bringen. In der Hand tragen sie einen Binsenpinsel. Einen Wisch (Pemsl) und einen Gürtel mit kleinen Glöckchen (Rollen) trägt auch der Roller beim Imster Schemenlauf in Tirol. Mit diesem Pinsel fordert er sein Pendant, den Scheller mit den mächtigen offenen Glocken zum Tanz auf. Mit federnden Sprüngen tanzt der Roller vor dem Scheller her, der mit Ausfallschritten, oder Wechselhupfschritten sein "Gschall" zum Klingen bringt. Der Roller springt dabei mehrmals beidbeinig in die Höhe, wobei er die Knie nach hinten abbiegt, hüpft je zweimal auf einen Fuß und schwingt gleichzeitig den anderen leicht vor und zurück. Nachdem er dies einige Male getan hat, beginnt wieder das beidbeinige Hochspringen. Dabei dreht er sich in der Luft um die eigene Achse. Vergleicht man die tänzelnden Narrensprungschritte der Rottweiler, Schömberger und Villinger mit den Morrisdance-Schritten der englischen Morris-Dancers, so liegt die Vermutung nahe, daß es sich bei diesen Narrensprüngen um Reste der "Moriskentänze" die uns nur bildlich oder plastisch aus dem 15. und 16. Jahrhundert überliefert sind, handelt. Für beide Formen scheinen die Moriskentänze die Ausgangsform zu bilden. Diese Vermutung stellte zumindest der österreichische Tanzforscher Richard Wolfram auf. Moriskentänze sind Narrentänze bei denen meist 7 Tänzer um die Gunst einer Frau buhlten. Als Lohn für den besten Tänzer hielt sie einen Apfel bereit. Wieviel Symbolik steckt in diesem Satz. 7 Tänzer - sind sie gleichzusetzen mit "Narro, Narro, siebe Sih, siebe Sih sind Narro gsi", wie es in Rottweil heißt? Und der Apfel, ist uns der nicht schon von Eva bekannt, die damit Adam verführt hat und somit die Erbsünde über die Menschheit gebracht hat? Die berühmteste Darstellung von Moriskentänzen sind die Moriskentänzer von Erasmus Grasser, die im Tanzsaal des Münchner Rathauses standen. England verfügt heute noch über eine reiche "Morris-Dance"-Tradition. Dabei tanzen mit Schellen und bunten Bändern oder Tüchern behangene Männer in komplizierten Schritten, teilweise steppend. Auch Schwerttänze zählen in England zu den "Morris Dances". Obwohl man in England keine Fasnacht in unserem Sinne kennt, entspricht die Auftrittszeit der "Morris Dancers" exakt unserer Fasnachtszeit. Es gibt nur wenige Narrenfiguren, die keine Glocken, Glöckchen oder andere monochorde Geräuschgeber an ihren Häsern tragen. Sobald man ein "Gschell" über die Schultern gezogen hat, verspürt man nahezu einen innerlichen Zwang zu hüpfen, sich rhythmisch zu bewegen. Dies geschieht durch rhythmisches Hüpfen und Springen. "Jucken" oder "Jucka" nennt man es im schwäbischen und teilweise auch im alemannischen Raum. So nennt man auch den Narrensprung der Überlinger Hänsele am Fasnachtssamstag "Hänselejuck". Auch die Lindauer Narrenzunft hat für den Tanz der "Kornköffler" den Titel "Köfflerjuck" gewählt. Schömberger "Fuchswadel" und "Fransenkleidle" "jucken" ebenfalls am Fasnachtsmontagmorgen um 8.11 Uhr zum Marktplatz. Der erste Teil dieses Narrensprungs vollzieht sich ohne Musik. Nur zum Klang der Schellen springen oder besser gesagt, tanzen die Narren mit gleichem Schritt zum Marktplatz. Dort steht bereits die Stadtkapelle und beginnt beim Eintreffen der ersten Narren, den Schömberger Narrenmarsch zu intonieren, zu dem die Narren dann weitertanzen. Um 10.11 Uhr dann beginnt eines der reizvollsten und ästhetisch schönsten Spektakel unserer Fasnacht. Bis zu 700 Schömberger Narren tanzen in ihrem Narrensprung eine Polonaise. "Dr Bolanes", wie der Narrentanz mundartlich korrekt bezeichnet wird, wurde um das Jahr 1900 vom Schmiedgesellen Bernhard Wuhrer von der Walz aus Frankreich mitgebracht und in die Schömberger Fasnet eingeführt. Über eine Stunde dauert dieser Tanz, der mittlerweile für die Schömberger einen unglaublich hohen Identifikationsstellenwert eingenommen hat. Mehrfach wird "dr Bolanes" in den Fasnachtstagen getanzt. Aber auch wenn die Narrenzunft von einem Narrentreffen nach Hause kommt, wird als Abschluß eine Polonaise auf dem Marktplatz getanzt. Sozusagen als Nachricht an alle Daheimgebliebenen: "Die Narren sind wieder im Städtle". Seit 1974 findet als Fasnets-Endbrauch am Fasnetsdienstag um 23.45 Uhr eine Mitternachtspolonaise statt, die ohne das Zutun der Narrenzunft entstanden ist. Hans Sachs berichtet vom Nürnberger Schembartlauf 1539, daß es sich dabei offensichtlich nicht um einen reinen Umzug in normaler Gangart gehandelt hat. Teile des Weges müssen in einem hüpfenden Tanzschritt zurückgelegt und aufgeführt worden sein. Beim "Frauenhaus" hielt der Schembartumzug und führte dort einen Tanz auf, wohl in der Art des "springenden Tanzes", eines rhythmischen Hüpfens also, das die Schellen zum Klingen brachte. Könnte man hier eine gerade Kontinuitätslinie zu den Narrensprüngen Schömbergs, Rottweils und anderer Orte ziehen? Krach und Lärm ist auch Musik Oft begegnen wir an der Fasnacht einer nur den Narren vorbehaltenen Musikform, der sogenannten "chaotischen Lärmmusik". Alltägliche Gebrauchsgegenstunde werden zu Musikinstrumenten umfunktioniert. Kessel, Kochlöffel, Töpfe, Schachteln mit Nägeln, Ketten und anderes bilden ein gewaltiges Perkussionsinstrumentarium. Hierzu fügen sich "höher entwickelten" Narreninstrumente wie Rätschen, Glocken, Schellen und Peitschen sowie Karbatschen nahtlos ein. Die mittelalterliche Visionsliteratur berichtet immer wieder von den mißtönenden Geräuschen der Hölle, wo die Verdammten auch akustisch gequält werden. Damit steht die "chaotische Lärmmusik" ganz im Gegensatz zu den Regeln der mittelalterlichen Musiktheorie. Ines Heim bezeichnet diese "extreme Lärmmusik" "geradezu als eine Perversion der edlen Kunst "musica". Nicht nur das mittelalterliche Schauspiel kennt den lärmenden Teufel. Im salzburgischen Mitterndorf tritt der Teufel im Nikolausspiel mit Kettenrasseln lärmend auf. Auch die "Klaubaufe", den Nikolaus begleitende Teufelsfiguren im Osttiroler Matrei, treten mit ungeheurem Gebrüll und Lärm auf. In manchen Orten des Bodenseegebiets, namentlich in Überlingen, Markdorf und Meersburg beginnt der "höllische" Krach bereits am Dreikönigstag, dem 6. Januar. Glockenschlag 12 Uhr. Viele Dutzend Hänsele - noch in Zivil - treten mit ihren Karbatschen auf die Straße und beginnen zu schnellen. Es ist kaum zu beschreiben, welcher Lärm in den engen Gassen Überlingens herrscht. In vielen Orten geht es am Fasnachtsmontagmorgen ganz nach dem vorgenannten Prinzip recht laut zu. In Wolfach heißt dieser Tag "Schellementig" und beginnt um 5.30 Uhr mit dem "Wohlauf", dem närrischen Wecken, bei dem eine vielhundertköpfige Schar in Nachthemden gewandeter Menschen dem "Wohlaufsänger" mit seinem Bett folgen. Töpfe, Topfdeckel, Schellen, Pfeifen und allerhand anderes Lärminstrumentarium lassen keinen Wolfacher mehr im Schlaf. Den vollständigen Bezug zur "Teufelsmusik" stellt der Text des "Wohlaufliedes" dar, in dem der Sänger seinen Auftrag im Namen des "Herrn Entechrist", also des "Antichristen", des Teufels, bekannt gibt. Auf Einwirken des evangelischen Pfarrers wurde dieser ursprüngliche Text aber in den 1980er Jahren entschärft. Wohlauf, wohlauf, im Namen des Herrn Entechrist, der Narrotag erstanden ist. Der Tag fängt an zu leuchten, de Narro, wie de G’scheite. Der Narrotag, der nie vergoht, wünscht all’ne Narro e guede Tag. Am schmutzigen Donnerstag ziehen in Waldshut die "Geltentrommler" um 5 Uhr morgens mit ihren umgekehrten vor dem Bauch hängenden "Gelten" (Holzzuber) in den Morgenstunden durch die Stadt und wecken die Bürger mit dem ständig wiederholten Ruf "Hüt goht d’ Fasnet a, mit de rote Pfiife". Dazu wird im Rhythmus mit Kochlöffeln auf die Gelten geschlagen. In Laufenburg am Hochrhein kennt man diesen Brauch des Weckens schon seit hunderten von Jahren. So ist 1611 belegt, daß wegen der Pest das Veranstalten des "Haffenklopfens" bei Strafe untersagt sei. Das scheint der früheste Hinweis auf die "Tschättermusik" zu sein, die heute an den drei "Faißen" (faiß = fett, dick; Faißen sind die drei letzten Donnerstage vor der Fasnacht) morgens um 6 Uhr stattfindet. Dabei wird nach einem ständig wiederholten Trommelruf mit allen nur denkbaren Krachinstrumenten intoniert. Sogar ein ausgedientes Kreissägeblatt mit über einem Meter Durchmesser wird bei diesem Umzug mitgeführt. Seit dem 18. Jahrhundert ist die "Katzenmusik" in Hausach verbürgt. Auch in Meersburg, Tiengen (dort allerdings am Schmotzigen Donnerstag) und Engen wird mit einer Katzenmusik der Fasnachtsmontag begonnen. In Pfullendorf weckt seit 1926 die Schnellergilde mit ihren "Karbatschen" die Bewohner der Stadt. In anderen Ortschaften findet das närrische Wecken am "Schmotzigen Donnerstag" statt. In Bräunlingen reißt der "Radauumzug" um 5 Uhr die Schläfer aus den Betten und in Offenburg ist es eine Stunde später der Hemdglonkerumzug. Heischeverse und Fasnetssprüchle Die einfachste und zugleich älteste Stufe musikalischer Fasnachtsaktivitäten sind die kurzen Heischeverse, deren Darbietungsweise zwischen rhythmischem Sprechen und leierndem Singsang schwankt. Zu Hunderten gibt es solche Bettel- oder Neckverse. Einer, der wohl am weistesten verbreiteten Verse ist dieser: Giizig (=geizig), giizig, giizig isch de N.N. und wenn de N.N. net z’ giizig wär, no gäb er au e Würschtli her. Giizig, giizig, giizig isch de N.N. Der Angesprochene, sei er nun Bäcker, Metzger oder anderer Berufsgattung wird dadurch zur Herausgabe leckerer Lebensmittel aufgefordert. Ein ebenfalls weitverbreiteter Vers ist hier in der Radolfzeller Version wiedergegeben: In de Höllgass Numm’ro sechs, do wohnt de Schlegelibäck. Er streckt sein Arsch zum Fenschter raus, mr mont es wär en Weck. Es isch kon Weck, es isch kon Weck, es isch de Arsch vom Schlegelibäck. Do kommt e Fraule glaufe, und will des Weckle kaufe. Do schreit de Schlegelibäck: "Mein Arsch isch doch kon Weck!" Es isch kon Weck, es isch kon Weck, es isch de Arsch vom Schlegelibäck. Zu diesem rhythmischen Sprechgesang gesellt sich in Radolfzell als akkustische Spezialität das "Kleppere". Dabei werden zwei Akazienholzplättchen in der Hand gehalten und nach Art der spanischen Kastagnetten gegeneinandergeschlagen. Diese Kunst wird beidhändig, also mit vier "Klepperle" ausgeführt und fordert eine Menge an Übung, sodaß man diese Fertigkeit meist schon im Kindesalter lernt. Dieses "Kleppern" findet man außer in Radolfzell auch in Waldkirch, Gengenbach und Haslach. In einigen Orten wird sogar ein "Preiskleppern" veranstaltet, bei dem der "Klepperlekönig" und die "Klepperlekönigin" ermittelt wird. In Radolfzell gibt es bei diesem Wettbewerb eine Pflichtübung - hier werden die traditionellen Narrenverse gesungen und gekleppert. Bei der Kür kann das vortragende Kind seinen virtuosen Klepperfähigkeiten vollen Lauf lassen. Auch in der Schweiz sind die "Chleffeli" bekannt. Allerdings begleitet man dort auch außerhalb der Fasnacht die traditionelle Volksmusik. Narrenmärsche Mit der Erfindung des Ventils für die Trompete entwickelten sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts kleine Blasbesetzungen mit 4 bis 9 Mann. Diese kleinen Besetzungen spielten bei allen gesellschaftlichen Anläßen auf. Sei es nun die Fronleichnamsprozession, die Hochzeit, die Kirbe oder Kilwi, die Investitur eines neuen Pfarrers oder eben an der Fasnet und auf dem Tanzboden. Mit den größeren Orchestern, die in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts und um die Jahrhundertwende die Mannschaftsstärke von 25 - 40 Personen erreichten, komponierte man nun erstmals spezielle "Narrenmärsche". Interessant scheint mir in diesem Zusammenhang aber, daß bereits um 1840 Carl Zulehner den Mainzer "Narrhallamarsch" komponierte An dieser Melodie haben sich auch einige der schwäbisch-alemannischen Narrenmarschkomponisten orientiert, z.B. der unbekannte Komponist des Tettnanger Narrenmarsches. Einer der ersten Narrenmärsche im südwestdeutschen Raum - wahrscheinlich der erste überhaupt - entstammt der Feder von Heinrich von Besele. Es handelt sich um den "Rottweiler Narrenmarsch", der 1882 erstmals bei einem Konzert in der Reithalle der Villa Duttenhofer in Rottweil aufgeführt wurde. Der Marsch wurde zwar stürmisch bejubelt, geriet aber danach fast 30 Jahre in Vergessenheit. Erst 1911 entdeckte ihn der damalige Musikdirektor Sander neu, arrangierte ihn für Militärmusik und spielte ihn erstmals beim Narrensprung mit der Stadtkapelle. Davor spielte man aber in Rottweil den "Altjägermarsch", den "Marsch der Freiwilligen Jäger" aus den Befreiungskriegen 1813 -1815. Die gleiche Melodie wird mancherorts zur Fasnet gespielt. So ist sie auch in Kiebingen als Narrenmarsch anzutreffen. Auch in Elzach erklingt der "Alte Jägermarsch", wenn am Fasnachtsdienstag der "Latschari" gefangen wird. Über das Alter des "Alten Elzacher Fasnetssmarsches" herrscht Ungewißheit. Mit Sicherheit stammt er aus der Zeit vor der Jahrhundertwende. Beim Sichten von alten Blasmusiknotenbüchern sind mir im Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg zwei undatierte Stimmhefte für Klarinette in B mit 85 Tanzmusikstücken in die Finger gekommen. Unter der laufenden Nr. 3 findet sich in einem der beiden Hefte ein "Jugendmarsch". Dieser ist zwar völlig unzulänglich natiert, aber dennoch eindeutig als der "Alte Elzacher Fasnetsmarsch" zu identifizieren. Der "neue Fasnetsmarsch" erklingt seit 1911 und ist mittlerweile so etwas wie die "Elzacher Nationalhymne" geworden. Mit Ausnahme des Baaremer Fasnetsliedles "Hans blib do", das sich zum Kern der Narrenmärsche in Furtwangen, Donaueschingen, Hüfingen und Geisingen entwickelte, gab es bis dahin nirgendwo im schwäbisch-alemannischen Raum spezielle Narrenmärsche. Beim "Hans blib do" handelt es sich um eine "volksmusikalische Allerweltsmelodie", die vom Egerland bis Thüringen, Hessen, Westfalen und bis nach Österreich überliefert ist und für deren Existenz man im Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg zahlreiche Belege findet. In sofern ist die Zuordnung der Komposition zu Johann Baptist Wenzel Kalliwoda, dem fürstlich-fürstenbergischen Hofkapellmeister in Donaueschingen (*21.2.1801 - 3.12.1866), zu dem zumindest die Donaueschinger neigen, nicht möglich. Allerdings hat bereits der Furtwanger Stadtkapellmeister Joself Schultis in seinen handschriftlichen Tanzmusik-Notenbüchern die Urheberschaft der beiden ersten musikalischen Teile Kalliwoda zugeordnet. Von ihm stammt das Trio. In seinen Memoiren berichtet Schultis davon, daß er bei einem Fasnetsumzug 1897 in Vöhrenbach diesen Marsch gehört habe. Über den dortigen Kapellmeister Wiedel besorgte sich Schultis die Noten und komponierte 1901, als er zur Stadtkapelle Furtwangen kam, den dritten Teil dazu. So sind im Laufe der Jahre viele neue Narrenmärsche enstanden und kaum ein Narrennest ist ohne "seinen" Narrenmarsch. 1927 wurde der "Waldshuter Narrenmarsch", komponiert von Kapellmeister Ernst Bartelmeß erstmals gespielt. 1939 erlebte der Rottenburger Narrenmarsch von Musikdirektor Karl Bengel seine Uraufführung. Viele örtliche Komponisten folgten und kreierten Narrenmärsche. Oft waren es Militärmusiker, wie in Villingen der Stadtkapellmeister Wilhelm Tempel, die als Komponisten für Narrenmärsche auftraten. Er wurde 1913 ins Amt berufen und komponierte 1930 den Narrenmarsch. Viele Militärmusiker setzten hier Impulse. Vermutlich entwickelte sich unter diesem Einfluß auch das Springen oder "Jucken" der Narros und Hansel in Formation, wie es heute in Schwenningen, Geisingen, Hüfingen, Donaueschingen, Bräunlingen, Bad Dürrheim und anderswo üblich ist. Manche, heute nicht mehr nachvollziehbare oder belegbare Geschichte rankt sich um sie. So zum Beispiel auch in Sigmaringen, wo man das vom Schweizer Georg Nägeli komponierte Couplet "Freut Euch des Lebens" an das "Dideldoh", eine einfache Pfeifermelodie, die ihre Ursprünge wohl im 16. oder 17. Jahrhundert hat, angehängt hat. Die Sigmaringer Version soll 1895 von Dekan Stauß während eines Spaziergangs nach Sigmaringendorf zusammen mit einem Freund entstanden sein. Einer der fleißigsten zeitgenössischen Narrenmarschkomponisten und -arrangeure ist der Stuttgarter Blasmusikkomponist Alfred Kluten. Von ihm stammen zum Beispiel die Narrenmärsche aus Bad Cannstatt, der alte Tanz der Hoorigen Bären und Hansele aus Singen, das Aulendorfer Narrenbaum-Lied, der Dürrheimer Hanseletanz, der Waldkircher Bajasstanz und andere. Außerdem hat Kluten sämtliche Narrenmärsche der Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte, die in einer Notenmappe zusammengefaßt und an alle Mitgliedszünfte ausgehändigt wurden, neu arrangiert und überarbeitet. Den meisten Narrenmärschen zueigen ist das langsamere Tempo von 80 - 110. Nur wenige Komponisten haben auf die örtliche vorhandenen Fasnetslieder zurückgegriffen. Exemplarisch sind hier jedoch Schramberg und Oberndorf zu nennen. Frühere Belege für Narrenmärsche beziehen sich auf reine Tambourenmärsche, die heute zudem noch außerhalb der Fasnacht aufgeführt werden. Die Rede ist von den Narrentänzen beim Ulmer Fischerstechen. Ursprünglich, das heißt nachweisbar bis in das 16. Jahrundert zurück, wurde das Fischerstechen am "äschrigen Mittwoch" und in den davorliegenden Fasnachtstagen abgehalten. Es gibt keine Belege dafür, daß damals bereits die Narrentänze getanzt wurden. Aber die persiflierende Art des Tanzes, die alte Rhythmik der Trommelmärsche, des "Narrenmarsches", des "Laufmarsches" und des "Bauer- und Bäures-Marsches", lassen auf ein hohes Alter schließen. Vom letztgenannten ist angeblich verbürgt, daß er schon im 17. Jahrhundert von einer Ulmischen Kompanie geschlagen worden sei. Zudem läßt auch die rein mündliche Überlieferung der Trommelrhythmen noch bis in das 20. Jahrhundert hinein auf eine kontinuierliche Traditionskette schließen. Beim "Laufmarsch" tanzen Bauer und Bäuerin, die beiden vermutlich ältesten Stecherfiguren des Ulmer Fischerstechens, mit den zwei Narren einen einträchtigen Rundtanz. Auf das Kommando des Bauern "Tambour, reg de!", mischen sich die beiden Narren ein und versuchen nun beim "Narrenmarsch" wechselweise dem Bauern die Bäuerin (dargestellt von einem Mann) auszuspannen. Dies gelingt letztlich auch und die beiden Narren machen sich über den Bauern lustig. Trommeln und Pfeifen sind mit die ältesten tanzbegleitenden Instrumente überhaupt. Auch bei weiteren Tanzanläßen sind oder waren sie an der Fasnacht zu finden. Zum einen beim Überlinger Schwertletanz, von dem schon die Rede war. Und zum anderen ist es der Munderkinger Brunnensprung, der von den Trommgesellen gestaltet wird. Carl Borromäus Weitzmann berichtet in der vierten Strophe seines Gedichts "Lob des Munderkingers" 1803 erstmals vom Tanz auf dem Brunnenrand: Zu Faschingszeiten, Da trägt er als Trommelgesell Bei Trommel und Pfeife den Degen zu Seiten Tanzt hoch auf dem Brunnengestell Trinkt Vivat dem Kaiser mit Neckarwein, Trinkt Vivat dem Liebchen und springt - hinein. Auch hier werden die Tänze "Hopser" und "Schleifer" von Trommeln und Pfeifen begleitet. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde nur das Auswürfeln der Brunnenspringer mit Trommelwirbel begleitet, und schon um 1950 gab es eine kleine Gruppe von Trommlern, die diese Funktion ausübten. Anfang der 1960er Jahre hat man den Trommler- und Pfeiferzug in Munderkingen neu gegründet. Für die Einheimischen hat ihr Narrenmarsch einen ausgesprochen hohen Identifikationswert. Er löst meist starke Emotionen aus, die von sentimentalen Heimwehgefühlen bis zu lautstarkem Lokalpatriotismus und völliger Ausgelassenheit reichen können. Durch die andauernde Wiederholung des Marsches in kurzen Abständen, setzt sich die Melodie im Unterbewußtsein des Zuhörers fest. Noch Stunden und Tage nach einem Narrensprung, Umzug oder gar nach der Fasnet, spielt sich die Melodie in das Gedächtnis. "Neue" Narrentänze Mit dem Entstehen von Narrentreffen, also von volkstümlichen Zur-Schau-Stellungen von örtlichen Fasnachtsbrauchformen, reichte die reine Präsenz der Narrenzunft auf der Straße nicht mehr aus. Das "Narren" (Welschen, Schnurren, Aufsagen) in den Gasthäusern war nicht mehr möglich, weil das soziale Umfeld nicht stimmte. Die Narren kannten die anwesenden Gäste ganz einfach nicht. So mußten sich die Narrenzünfte in anderer Weise präsentieren. Nach und nach entstanden ab den 30er Jahren folkloristisch geprägte Narrentänze. Fast jede Narrenzunft hat heute einen oder mehrere Narrentänze, die bei "Brauchtumsvorführungen" auf der Straße und bei "Brauchtumsabenden" in großen Festzelten den Gästen vorgeführt werden. Das Melodien- und Tanzformenspektrum reicht vom örtlichen Narrenmarsch , der in einfachen Volkstanzformen choreografisch gestaltet ist, wie in Kiebingen und Hirrlingen, bis hin zu aufwendig kreierten Hexentänzen einer Ballettmeisterin zur Musik von Richard Strauß’, "Also sprach Zarathustra", wie er in Waldkirch zu treffen ist. Erlaubt ist was gefällt. 1938 wurde beispielsweise der "Laternentanz" der Blätzlebuebezunft Konstanz erstmals in Überlingen aufgeführt. Zunftgründer und Blätzlevater Ludwig Müller hat ihn sich ausdacht. Dabei liest der "Polizeiblätz", eine Einzelfigur, die eine Rössleatrappe trägt, einen Ratsbeschluß aus dem Jahre 1388 vor, der das Fasnachtstreiben untersagt. Die zwölf Tänzer buhen "den Polizei" aus und umtanzen ihn zu den Klängen des Fanfarenzuges. Dem Reitersmann bleibt nichts anderes übrig, als sich in den Tanz einzugliedern. Narrenlieder Über die Wandlung des Fasnetsliedles "Hans blib do" habe ich bereits im Absatz über die Narrenmärsche berichtet. Welche Lieder werden an der Fasnet gesungen? Es wird nicht vom "Brunnen vor dem Tore" oder von der "Mühle im Schwarzwäldertal" gesungen. Wenn an der Fasnet gesungen wird, sind es neben aktuellen Schlagern und "Hits", die dem Zeitgeist entsprechen, die Lumpenliedle, die Lieder nämlich, aus der untersten moralischen Schublade, die hier zum Vortrag kommen. Mühlheim an der Donau hat, wie viele andere Orte auch, eine reiche Tradition solcher Lieder. Ekkart Haas, der Vorsänger des "Sagt er", hat mir gemeinsam mit einigen Kameraden viele solcher Lumpeliedle vorgesungen. Auch hier läßt sich eine Linie bis in das 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Bereits die Nürnberger Schembartläufer haben sogenannte "schamper lieder" (zuchtlose Lieder, wie man sie besonders zum Tanz zu singen pflegte) gesungen. Ich vermag diese Traditionskette an dieser Stelle nicht exakt nachzuweisen, aber die Vermutung liegt nahe, daß man auch in den dazwischen liegenden Jahrhunderten "Lumpeliedle" an der Fasnacht gesungen hat. Der "Sagt er" ist ein Rügebrauch, bei dem sich rund 250 Männer Mühlheims am Fasnachtsmontagmorgen um 9 Uhr zum gemeinsamen Gesang treffen. Alle sind in weiße Hemden gekleidet, den Kopf ziert eine schwarze Zipfelmütze, die Gesichter sind weiß bestäubt. Nur der Vorsänger trägt einen Gehrock und einen Zylinder. Er beginnt nun mit seinem Rügegesang. Nach jeder Zeile bekräftigen die "Sagt-er-Sänger" diese bei eingestützten Händen und einem kräftigen Kopfnicken mit einem lauten "Sagt-er" im Chor. Nach jeder Strophe tanzen sie paarweise einen Dreher und singen: "Tiralalalalalala, tiralalalala". Traditionsgemäß beginnt der Vorsänger mit der Strophe:
Ein Vers aus dem Jahr 1998 lautet:
Die Schlußstrophe lautet:
1892 hat Balthasar Leibinger diesen Brauch in Mühlheim eingeführt, nachdem er zwei Jahre zuvor, bei einem Besuch seiner Schwester in Berlin das Singspiel von Carl von Holtei "Ein Wiener in Berlin", gehört hatte. Bei dem Couplet: "In Berlin -sagt er, ist es schön - sagt er", hat sich Leibinger die Idee des "Sagt-er" geholt. So entsteht Brauchtum. Ein anderer Rügebrauch in Mühlheim sind die "Labera". Das sind Schnitzelbanksänger die, wie auch die in Möhringen , ihre "Mitschildbürger" karikieren wollen. Dazu eignet sich die gezeichnete "Moritat" am besten. Auch in Tirol, bei der Imster Fasnacht, treten "Labera-Sänger" auf. An der Wolfacher Fasnacht wurde bis Ende der 60er Jahre mit Hilfe von Moritaten geschnurrt. Fasnetsschlager In den 1960er Jahren entstanden mehr und mehr vornehmlich lokale "Fasnetschlager", vor allem in den Fasnachtshochburgen am Bodensee. In Singen war es Walter Fröhlich, nach seinem redaktionellen Kürzel kurz "wafrö" genannt, der 1957 den ersten "Fasnetshit" landete. "S’ goht degege, Mamme häng de Schurz a d Wand" - dieses Lied ist mittlerweile zu einem Singener Fasnachts-Evergreen geworden. Genauso die anderen Lieder "Kon hät Grund zum Bräsele" und "O blos mer doch i d’ Schueh, wennt witt" werden nach dreißig Jahren immer noch gern gesungen. So entstand 1994 eine CD mit den Singener Fasnetsliedern und -märschen. Diesem Beispiel folgte eine ganze Reihe von Zünften nach: Schramberg 1996, Bad Dürrheim, Aulendorf und Rottenburg 1998. Diese Aufzählung hat natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Werner Mezger glaubt zu erkennen, daß im Zuge der Profitmaximierung die Tendenz heute dahin geht, ganzjährig einsetzbare Schlagertitel von vornherein so anzulegen und medial in eine Richtung zu steuern, daß sie sich gewissermaßen im Nebeneffekt zu Fasnachtshits entwickeln könnten. Die lokalen Fasnetsschlager werden mehr und mehr zugunsten von Allerweltshits wie "Sierra Madre" oder "Polonaise Blankenese" abgelöst. Dies muß nun aber nicht zwingend auf Kosten der Regionalspezifik vonstatten gehen. Oftmals nutzen lokale Fasnachtssänger die Bekanntheit einer Melodie, um durch einen mundartlich vorgetragenen Text den Regionalbezug herzustellen. Neue Formen Blasmusik im großen Blasorchester erfordert die aufwendige Ausbildung jedes Instrumentalisten auf seinem Instrument. Hinzu kommt noch der Aufwand mindestens einer wöchentlichen Orchesterprobe. Trommeln, Querpfeifen und Fanfaren sind da wesentlich einfacher zu betätigen und verlangen meist auch keine oder nur wenig Notenkenntnisse. Nach dem zweiten Weltkrieg waren noch genug Fanfaren und Trommeln aus der Hitler-Jugend vorhanden. Was lag also näher, diese Instrumente und das darauf gespielte Repertoire wieder zu reanimieren. So enstanden bereits kurz nach dem II. Weltkrieg neue Spielmanns- und Fanfarenzüge. Der Historismus nahm seinen Lauf, indem sich diese musikalischen Formationen in Phantasiegewänder kleideten, die sich an Landsknechtskleidern orientierten. Dazu gesellten sich schnell Fahnenschwinger die dieses Image unterstrichen. Das Repertoire für Naturfanfaren, die nur die Naturtonreihe intonieren können, ist schnell erschöpft. So wurden Ventilfanfaren gebaut. Damit können die Fanfarenzüge nahezu alle Melodien spielen. So reicht dann auch das Repertoire der meist den Narrenzünften angegliederten Spielmanns- und Fanfarenzügen von Militärmärschen wie "Alte Kameraden" bis hin zu Fasnetsschlagern wie "Rucki-Zucki" oder "Ja, mir san mit 'm Radl da". Spielmanns- und Fanfarenzüge gehören z.B. zu den Zünften Aulendorf, Bad Cannstatt, Bad Dürrheim, Hirrlingen, Konstanz, Offenburg, Schwenningen, Sigmaringen, Singen, Tettnang und Wehingen. In Oberschwaben und um Freiburg herum gründeten sich auch etliche Schalmeienkapellen. Die Schalmei, ursprünglich ein Instrument, das in sozialistischen Arbeitervereinen auf Fahrrädern bei Demonstrationen und Kundgebungen, z.B. zum 1. Mai gespielt wurde, ist nun zum Fasnachtsinstrumentarium geworden. Exemplarisch sind hier die Ravensburger Schalmeien und die Badische Schalmeienkapelle Freiburg zu nennen. Aus der Schweiz ist eine große Welle der "Guggenmusiken", die sich dort auch erst im 20. Jahrhundert entwickelt hat, zu uns herübergeschwappt und hat bereits die Grenzen der traditionellen Fasnachtsgebiete und auch der traditionellen Fasnachtszeit verlassen. In schwäbisch-alemannischen Gefilden gibt es Guggenmusiken seit Beginn/Mitte der 1980er Jahre in breiterem Ausmaße. Eines der größten Guggenmusiktreffen findet alljährlich in Schwäbisch Gmünd statt. Auch außerhalb der Fasnet gibt es bereits Guggenmusiktreffen, teilweise mitten im Sommer. Allen drei musikalischen Gruppierungen ist zueigen, daß das Instrumentarium wesentlich einfacher zu spielen ist, als beim gewöhnlichen Blasorchester. Bei Guggenmusiken reicht es, wenn zwei bis drei Personen ihr Instrument einigermaßen ordentlich beherrschen. Die Hälfte spielt ohnehin Perkussionsinstrumente und der Rest kann irgendwas andeutungsweise dazuspielen. Hinzu kommt der Reiz, sich jährlich neue, teils opulente Fasnachtsgewänder zu schneidern und zu basteln, die sich unglaublich kreativ und völlig außerhalb des Spektrums der in barocken Formen erstarrten traditionellen Brauchfiguren bewegen. Musik ist und bleibt eine der kreativsten Ausdrucksformen unserer Fasnacht. Solange es Erotik in der Beziehung zwischen zwei Menschen gibt, wird dem Tanz, insbesondere zur Fasnachtszeit, eine entsprechende Bedeutung zuzumessen sein. Bildnachweis: Bilder 1,5,6: © Narrenspiegel Bild 2: "Eyn Sackpfiff ist des narren spil", Holzschnitt zu Sebastian Brants Narrenschiff Bild 3: Narren und Närrinnen, ums goldene Kalb tanzend, Holzschnitt zu Sebastians Narrenschiff Bild 4: Zämertanz in Nürnberg, Schembarthandschrift des 16./17. Jhdts. Bilder mit Genehmigung des Universitäts-Verlags Konstanz dem Buch "Narrenidee und Fastnachtsbrauch" von Werner Mezger entnommen. |
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Querverweise
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